
Ihre neue Kooperation mit der Karlsruher Musikhochschule beging die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz mit zwei Konzerten in Karlsruhe und Mannheim. Auf dem Programm standen Werke der Kompositionsschulen beider Städte von Stamitz bis Rihm.
von Sebastian Herold
Ein leichtes Beben geht durch die Reihen der Mannheimer Christuskirche. Unter dem souveränen Dirigat des Schweizers Christoph-Mathias Mueller verleihen vor allem die Pauken und Kontrabässe der aufwühlenden d-Moll-Sinfonie von Georg Joseph Vogler eine durch die Holzbänke physisch spürbare Note. Das passt zur eingangs erklingenden Musik des bedeutenden Vertreters der Mannheimer Schule, die für mozartverwöhnte Ohren zunächst etwas kantig anmuten mag, doch besonders im Finalsatz mit ihrer zupackenden Dramatik und dem kontrastreichen Wechselspiel von Lichtblicken und deren Abdunklung fasziniert.
Vom Mannheim des 18. Jahrhunderts zur zeitgenössischen Karlsruher Schule: Wolfgang Rihm schrieb seine „Gesungene Zeit“ für Violine und Orchester in den Jahren 1991/92 für Anne-Sophie Mutter. Zusammen mit der Staatsphilharmonie interpretiert nun die junge Geigerin Tianwa Yang das Violinkonzert – und beweist, dass sie sich nicht ansatzweise in den Schatten der prominenten Widmungsträgerin stellen muss.
Das Werk beginnt im Grunde schon, bevor der erste Ton erklingt. Stille. Dann: ein Ton aus dem Nichts, in unsagbar zartem, zaghaftem Pianissimo ansetzend, sich langsam zu elegischen Phrasen emporarbeitend. Gemeinsam mit dem allmählich einsetzenden Orchester entwickelt sich ein oft meditativ versunkener, zwischendurch auch aufbrausender Klangstrom, der, entsprechend dem Titel, „immer Gesang“ ist, wie Rihm selbst anmerkt. Dabei zelebriert er einen unaufdringlichen Farbenreichtum, der nie überladen wirkt, aber zum Hinhören förmlich zwingt und einen nicht mehr loslässt: hier ein Diskantton in der Sologeige, die ihn unmerklich an die mit dem Kontrabassbogen gestrichenen Zimbeln weitergibt; dort die gedämpfte Trompete, sanft und oboenhaft im Klang. Das Orchester agiert unter der sorgfältigen Leitung Muellers hochkonzentriert und präzise und wird zum gleichberechtigten Partner der Sologeige. Und Tianwa Yang scheint diesen Gedanken zu teilen, weiß genau, wann sie sich zurücknehmen und wann sie hervortreten muss und begeistert mit ihrem durchweg glasklaren, warmen Ton sowie ihrer enormen Sicherheit gerade in den höchsten Lagen. „Gesungene Zeit“ endet ganz ähnlich, wie es anfängt. Ein Ton ins Nichts. Dann: Stille.
Tianwa Yang ist längst kein Geheimtipp mehr auf dem übersättigten Geigenmarkt, gehört aber nicht zu den jungen Künstlerinnen, die beim allzu sehr auf Vermarktung bedachten Hochglanz-Label die enge Repertoire-Zwangsjacke angelegt bekommen. Für ihre Naxos-Aufnahmen unter anderem von Mendelssohn, Sarasate und Ysaÿe wird sie von der Kritik umjubelt; auch Projekte wie etwa die Ersteinspielung des zweiten Violinkonzerts des Italieners Mario Castelnuovo-Tedesco finden Eingang in ihre Diskografie. Im vergangenen Jahr wurde sie sowohl mit dem Echo Klassik als auch mit dem Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Die 1987 geborene Chinesin kam mit 16 Jahren zum Studium nach Karlsruhe. Zurzeit lebt sie in Kassel und unterrichtet an der dortigen Musikakademie; Ende des Jahres wird sie eine Professur an der Hochschule der Künste Bern antreten.
Carl Maria von Weber ist nicht unmittelbar der Mannheimer Schule zuzuordnen, weist aber durch seinen Kompositionslehrer, den eingangs gehörten Vogler, eine Verbindung zu ihr auf. Weber komponierte lediglich zwei Sinfonien, beide 1807 mit etwa 20 Jahren, und beide in C-Dur. Seine spritzige zweite Sinfonie eröffnet die zweite Konzerthälfte. Plötzliche Pausen, rhythmische Verwirrspiele und ein völlig unvermittelter, wie ein Musik gewordener Aprilscherz anmutender Schluss sorgen für kurzweiliges Hörvergnügen.
Was Georg Joseph Vogler für Carl Maria von Weber war, war Eugen Werner Velte für Wolfgang Rihm. In seinem „Zum Andenken und zur Erinnerung… Grave II“ für Kammerorchester stellt Rihms ehemaliger Karlsruher Lehrer Velte elegischen Melodien energische Tutti-Tremoli gegenüber. Das Konzert endet mit der d-Moll-Sinfonie von Carl Stamitz, dem Sohn des berühmten Johann Stamitz, der als Gründer der Mannheimer Schule gilt.
Am Vortag war das Orchester mit dem gleichen Programm in Karlsruhe zu Gast. Im Rahmen der Kooperation der Staatsphilharmonie mit der dortigen Musikhochschule hatten zwölf Instrumentalstudenten die Gelegenheit, bei beiden Konzerten in den Reihen der erfahrenen Musiker mitzuwirken. Ähnlich wie das Brahms/Rihm-Wochenende Ende letzten Jahres vereinte das Programm alt und neu, spannte zudem Bögen zwischen Lehrern und Schülern.
© für das Foto: Friedrun Reinhold