Die Welt der Geräusche – oder wie der Sellerie ins Tonstudio kam

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Schnelle Schritte, eine Tür fällt krachend ins Schloss, kurz darauf zündet knatternd ein Motor, mit quietschenden Reifen brettert ein Auto die Auffahrt hinunter. Szenenwechsel: wir befinden uns inmitten einer Kneipenschlägerei, eine Flasche zerbirst auf dem Hinterkopf eines Raufbolds, ein anderer wird mit voller Wucht gegen die Wand geschleudert, man hört splitternd einen Knochen brechen. Szenen, wie wir sie aus dutzenden Filmen kennen und die uns mitreißen mit ihrer Dynamik und ihrem überwältigendem Sound.


von Johanna Roth


Der „Soundtrack“ eines Kinofilms ist eine komplexe Textur aus Musik, Atmosphären, Effekten, Special Effects, Handlungsgeräuschen und Sprache, erklärt Prof. J. U. Lensing in seinem 2009 erschienenen Buch „Sound-Design, Sound-Montage, Soundtrack-Komposition“. Neben der schauspielerischen Leistung der Darsteller sticht uns meist die Musik in die Augen – oder besser gesagt in die Ohren, die solche Szenen unterstreicht und uns direkt daran teilhaben lässt. Doch auch die beste Musik hat keine Chance, uns emotional an den Film zu binden, wenn die Atmosphäre nicht stimmt. Gerade die unauffälligen, aus dem Alltag bekannten Geräusche lassen den Film stimmig erscheinen und stören uns sofort, wenn sie nicht unsere Erwartungen erfüllen.
Diese unbewussten Erwartungen kommen nicht von ungefähr, denn was hören wir im Alltag? Es erklingt für gewöhnlich keine Slapstick-Verfolgungs-Nummer á la Dick und Doof, wenn ich morgens wie im Zeitraffer aus dem Bett, in die Küche, ins Bad und dann auf dem Rad zur Uni hetze, weil ich mal wieder zu spät aufgestanden bin. Kein episches Heldenthema begleitet den Löschangriff der örtlichen Feuerwehr und mal ganz ehrlich – wie oft ist beim ersten Kuss ein Streichquartett zur Stelle, das ein romantisches Ständchen zum Besten gibt? Genau. Im wahren Leben gibt es keinen Soundtrack, der passend unter jede Situation unseres Alltags gelegt wird. Stattdessen höre ich mich schnaufend durch die Innenstadt strampeln, begleitet vom Lärm des morgendlichen Berufsverkehrs und meines klappernden Schutzbleches. Und so alltäglich diese Geräusche auch sind, sind sie doch die Grundlage eines jeden guten Films.

Doch was die meisten nicht wissen: Nur die wenigsten der Geräusche, die wir im Film hören, stammen wirklich vom Set. Das hat einen einfachen Grund: Die Sprachverständlichkeit des Dialogs hat beim Filmdreh höchste Priorität. Für die Abnahme werden Richtmikrofone benutzt, die so wenige Nebengeräusche wie möglich mit aufnehmen. Das hat zur Folge, dass alle Geräusche, die beim Dreh „ausgefiltert“ werden, nachträglich wieder aufgenommen und zur Tonspur hinzugefügt werden müssen. Ein weiterer Grund für die nachträgliche Erzeugung der Geräusche ist, dass sie in Wirklichkeit oft nicht so spektakulär oder prominent klingen, wie man sie gerne hätte. Ein einfaches Beispiel haben wir bereits in unserer Kneipenszene: einer der Raufbolde bekommt eine Flasche auf den Kopf. Natürlich wird am Set keine echte Flasche sondern spezielles Filmglas verwendet, das zwar echt aussieht, aber keinerlei Verletzungsgefahr birgt. Das hat zur Folge, dass der Schauspieler zwar nach diesem Take unbeschadet weiterdrehen kann, aber leider klingt das Filmglas im Original so gar nicht nach zersplitterndem Glas. Hier fängt die Arbeit des sogenannten Geräuschemachers an. In Deutschland arbeiten heute etwa 20 solcher Geräuschemacher und vertonen verschiedenste Produktionen nach, von der Daily Soap bis zum Werbeclip, ihre Geschichte geht aber weit zurück bis in die frühen Anfänge des Films.

Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts gibt es erste Versuche, Ton synchron zum Bild mit einem sogenannten Phonographen abzuspielen. Aufgrund immenser Schwierigkeiten bei der manuellen Synchronisation und der zu schwachen Verstärker werden bis in die 1920er Jahre Kinoorgeln zur musikalischen Untermalung von Stummfilmen in den Kinos eingesetzt. Eine Vielzahl von Instrumenten und Effekten können vom Orgelspieler übernommen werden, für ausgefallenere Geräusche wie Donner, Eisenbahn- oder Wassergeräusche stehen hinter der Leinwand Geräuschemacher zur Verfügung. Sie benutzen verschiedene Hilfsmittel, wie beispielsweise den „Thunder Screen“, eine große Metallplatte, die beim Anschlagen ein donnerartiges Geräusch erzeugt. Mit den ersten Tonfilmen wie The Jazz Singer (1926) oder Walt Disneys Steamboat Willie (1928), dem ersten Film mit kompletter Post-Produktion von Dialog, Musik und Effekten, verliert die Livemusik zunehmend an Stellenwert. Erst durch das Magnettonverfahren, das in den 50er Jahren in den großen Hollywood Studios Einzug hält, sind Mehrspuraufnahmen möglich, bei denen zusätzlich zu der Musik Effekte und Geräusche wiedergegeben werden können.

Einer der ersten, der auf dem Gebiet der Sound-Effekt-Techniken in der Filmproduktion tätig ist, ist Jack Donovan Foley, der für die Universal Studios in den 50er Jahren nachträgliche Vertonungen wie Schritte und Umgebungsgeräusche vornimmt. Nach ihm ist auch die gängige Berufsbezeichnung des Geräuschemachers benannt: Foley Artist.
In den Anfängen der Filmvertonung lautet die Devise: „see a dog, hear a dog“ – vertont wird, was auf der Leinwand zu sehen ist. Erst in den 1970er Jahren beginnen Regisseure des ›New Hollywood‹ in Filmen wie Star Wars (George Lucas, 1977) und Apocalypse Now (Francis Ford Coppola, 1979) den Geräuschen eine tragende und ästhetisch eigenständige Rolle zu geben. Geräusche werden dabei vom Sound Designer in aufwändigen Prozessen „komponiert“, zum Teil sogar frei erfunden, so Barbara Flückiger in ihrem Buch „Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films“ (2001). In Filmabspännen der späten 70er Jahre taucht zum ersten Mal die Bezeichnung „Sound-Design“ auf. Seitdem haben Bild und Ton im Produktionsvorgang einen ähnlichen Stellenwert, nicht zuletzt durch Fortschritte in der Tontechnik wie die Möglichkeit der Rauschunterdrückung und der Zusammenfassung mehrerer Spuren in eine Stereospur. Heute arbeitet ein ganzes Team am Sounddesign.
Dabei unterscheidet man zwischen verschiedenen Elementen, die zusammen schließlich den Filmton ergeben: die sogenannte Atmo, also Geräusche und Töne, die wir mit dem Ort in Verbindung bringen (beispielsweise Verkehrslärm, eine Menschenmenge oder Natur-geräusche). Diese werden teilweise direkt am Set abgegriffen, wenn sie später nur schwer und kostspielig herstellbar sind. Dazu kommen die Dialoge der Schauspieler, die Filmmusik und schließlich die Effekte und Geräusche, die künstlich erzeugt und dazu gemischt werden.

Im digitalen Zeitalter ist es eigentlich kaum vorstellbar, dass es den Beruf des Foley Artists noch gibt. Man könnte sich doch je nach Bedarf Sounddateien aus einer großen Mediathek mit bereits gesampelten Geräuschen herunterladen und zusammen stellen. Die Praxis zeigt jedoch, dass ein Geräuschemacher um einiges schneller und effektiver arbeitet, denn er spielt die Geräusche live und synchron zum Bild ein. Bis man aus einem großen Soundarchiv beispielsweise Schritte, die vom Klang, das heißt vom Material, auf dem sie gehen, und von der Geschwindigkeit genau auf die Schritte des Schauspielers im Film passen, herausgesucht hat und so stundenlang an einzelnen Geräuschen schraubt, schafft der Foley Artist je nach Aufwand bis zu 100 Sendeminuten am Tag. Dabei schöpft er aus einem riesigen Sammelsurium an Gegenständen. Von unzähligen Schuhen über Tonbänder, Schleifpapier, Sand, verschiedene Arten von Glocken und Hupen bis hin zu einer alten Kaffeemühle – hier ist alles dabei. Im Tonstudio werden Geräusche oft mit einem Gegenstand erzeugt, der auf den ersten Blick nichts mit dem Originalsound vom Set zu tun hat. Klar – Schritte bleiben Schritte, dafür hat ein Foley Artist verschiedene Untergründe die er je nach Szene mit Sand oder Laub präpariert. Aber wie sieht es mit Hufgeklapper aus – mal eben ein Pferd ins Studio holen? Hier weiß sich der Geräuschemacher mit Kokosnussschalen zu helfen. Das in der Hand zerknüllte Tonband wird zu einem Spiegelei in der Pfanne, knackende Holzscheite im Kaminfeuer lassen sich ganz einfach durch Luftpolsterfolie erzeugen und aus dem Küchentuch, das man rhythmisch zwischen den Händen spannt wird ein schlagendes Herz. Auch Geräusche aus der Natur kann der Foley Artist ganz einfach im Studio nachahmen ohne gleich Berge an Schnee oder literweise Wasser heranzuschaffen. So entsteht durch das Zusammen-drücken eines mit Mehl und Speisestärke gefüllten Stoffbeutels beim Zuschauer das Gefühl, man stapfe durch kniehohen Schnee, während man mit etwas Geschick und zwei Schuhbürsten auf einem Kissen verblüffend echtes Wellenrauschen erzeugen kann. Auch die Popularität von Lebensmitteln bei der Filmvertonung sollte nicht unterschätzt werden. Ein Boxhieb? Nichts leichter als das: probieren Sie es doch einmal mit einem kräftigen Schlag gegen eine Wassermelone. Und wo wir schon mal bei Obst und Gemüse sind, können Sie sich auch gleich an den nächsten Trick wagen: die Kombination aus separat aufgenommenen zerbrechenden Karotten und Sellerie ergibt zusammenmontiert den perfekten Knochenbruch.

Sind alle Geräusche aufgenommen, geht es wie bei jeder Audioproduktion an die Nachbearbeitung. Hier kommt nun das restliche Sounddesign Team zum Einsatz. Der Soundeditor, der oftmals schon bei den Aufnahmen dabei ist, kümmert sich um das Anpassen der Laustärkeverhältnisse und die Klangfilterung der einzelnen Geräusche zu einem sinnvollen Gesamtklang. Oft werden neben der Nachvertonung der Szenengeräusche völlig neue Sounds kreiert oder durch digitale Effekte verändert, besonders im Bereich des Science Fiction Films, wo wir es häufig mit Weltraumgeräuschen zu tun haben. Für diese Bearbeitung ist der Sound-Designer zuständig. Das Team steht während des Arbeitsprozesses immer in Kontakt mit dem Filmkomponisten, um eine optimale Ergänzung von Tongestaltung und Musik zu erreichen.
Wie so oft gibt es auch im Sounddesign immer wieder Filme, die mit der Tradition brechen. So lenkt Jean-Luc Godard in Nouvelle Vague (1990) das Ohr des Zuschauers bewusst auf die Arbeit des Sound Designs indem er Geräusche überzeichnet, Dialoge mit Atmo übertönt oder die Musik widersprüchlich zu der Emotion des Bildes montiert.
In den meisten Fällen haben wir es aber mit der klassischen Verwendung von Effekten und Atmosphäre zu tun. Dabei wird oftmals mit Tonstereotypen gearbeitet: Filmwissenschaftler haben herausgefunden, dass in 70% aller Filme, in denen eine Szene in der Nacht spielt, das Zirpen von Grillen zu hören ist, spielt sie auf dem Land, ist Vogelzwitschern zu hören. In 50% aller Filme steht Telefonklingeln für das Büro und Autohupen für die Stadt.
So unscheinbar uns dieser Bereich der Filmproduktion verglichen mit dem Bild oder der Musik auch vorkommen mag, so viele verschiedene Arbeitsschritte sind nötig, bis wir als Zuschauer völlig im Filmgeschehen versinken können. Also, schließen Sie doch beim nächsten Kinobesuch einmal die für einen Moment die Augen und lassen Sie die Sounds die Geschichte weiter erzählen – es lohnt sich!

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