„Es muss halt jeder einmal untergehn’“

Wanda

Betrachtungen zur Generation Y in der Wiener Musik der Gegenwart


 von Helena Walther


Es ist der 31. Oktober 2015. Rainald Goetz hält eine Rede zum gerade an ihn verliehenen Büchner-Preis, eine der bedeutsamsten Literatur-Reden der Gegenwart. In dieser spricht er von einer Spannung des Gegensätzlichen, einer „Anrufung des Gegenteils“, von der eine unglaubliche Faszination ausgeht, und der die Kraft innewohnt, Großes zu Erschaffen. Er spricht von einer Jugend, die die Gesellschaft erst wandelt und dann zugrunde geht. Ein selbstzerstörerischer Prozess gesellschaftlicher Besserung.

Schenkt man den mittlerweile unzähligen erschienenen Artikeln über die Generation Y Glauben, so handelt es sich bei dieser Jugend um eine Generation, die immer höher hinaus möchte. Aufgewachsen ist sie in dem Vertrauen darauf, alles erreichen zu können. Sie ist gut ausgebildet und wurde, ausgestattet mit einem fast schon zwanghaften Streben nach Individualität, auf die vorher so geradlinige Gesellschaft losgelassen. Für welche Werte kann diese Generation einstehen, nach welchem Wollen streben?

„Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag‘ für Amore, Amore!“, sang Goetz zu Ende seiner Rede, und zitiert damit Wanda, eine Band, die neben Bilderbuch als Paradebeispiel der aktuellen Popmusikszene Wiens zu nennen ist. Beide erklimmen rasant die Leiter des Erfolgs. Sie treten in schaustellerischer und massentauglicher Individualität auf, sie sind gebildet und verherrlichen in ihren Songs die hemmungslose Selbstverschwendung. Ist hierin eine Gegensätzlichkeit, ein Widerspruch gar zu suchen? In Interviews stellt Bilderbuch-Frontmann Maurice Ernst das Absolute, den Untergang, als zentrales Thema ihrer Musik dar. Als Ausdruck eines apokalyptischen Denkens in einer Gegenwart, in der die Jugend doch gerade erst zu erwachen scheint. Und über die Wanda singen: „Es muss halt jeder einmal untergeh’n.“

Eine Generation, der alle Türen offenstehen, und die in dem Bewusstsein darum lebt, gibt sich selbst auf und geht unter. Hier geht es um Grenzüberschreitungen, um ein Aufbegehren, um eine Rebellion gegen die Langeweile. Sagen Wanda.

Da ist eine Spannung des Gegensätzlichen, sagt Rainald Goetz am 31. Oktober 2015. Sie tändelt zwischen den Möglichkeiten, die ungenutzt bleiben, und der Langeweile, die gerade aus ihr hervorgeht. Gegen die gekämpft wird, mit aller Kraft, und so lange, bis vielleicht jeder einmal, nun ja, untergeht?

Wer alles sein kann, wer das Vermögen zu allen Daseinsformen in sich trägt – wer findet da einen Weg, Gebrauch davon zu machen? Also, stattdessen: Unvernunft und Kaputtheit – in der Goetz-Rede vorsichtig benannt, in den Songs von Bilderbuch, Wanda und Co schonungslos besungen. Thematisiert wird nicht allein eine Phase, eine Facette. Es geht hier nicht um Oberflächlichkeiten. Nein, es ist ein Kreisen um die Frage, die auch Goetz stellt: „Wie wollen wir leben?“

Dieses „Wie?“ ist eine Einstellung, ist etwas Dauerhaftes, ein Balancieren am Abgrund, unweigerlich. Und trotzdem ist ein Festhalten zu beobachten, mit voller Überzeugung, an eben dieser Einstellung. Von der der Abgrund doch längst ein Teil geworden ist.

Wanda zelebrieren Zerstörung. Von Konventionen, der von bislang üblichen Normen von Vernunft und gesellschaftlichen Regeln, vielleicht auch von sich selbst.

Bilderbuch, Schüler eines Klostergymnasiums, vertreten eine ähnliche Botschaft: Schaut uns an, lebt euer Leben wie wir es tun; und solltet ihr scheitern, dann doch bitte mit Stolz. Sie verkörpern diese Botschaft, personifizieren sie – ihr Auftreten wirkt überheblich, zeugt aber zugleich von einer unglaublichen Lässigkeit, die jede Arroganz entschuldigt.

Zeilen wie: „wenn du Angst vor der Zukunft hast, kauf dir einen Pool. Wenn du zu viel Geld hast, schmeiß es in den Pool. […] wenn du alles hast – ersauf dich im Pool“, spiegeln die aufgesetzte Überheblichkeit ihrer Texte wider. Zusammengefasst sprechen sie von einer narzisstischen Selbstliebe, in der eine düstere Untergangsstimmung mitschwingt. Und treiben, wie auch Wanda, ihr eigenes Credo auf die Spitze.

Ist dies ein Phänomen, das sich auf eine komplette Generation übertragen lässt? Spricht es aus den Herzen und Köpfen jener zwischen Zwanzig und Dreißig? Ist dies das Erfolgsgeheimnis der Wiener Musik?

Oder aber ist da noch ein Hoffnungsfunke, sich Goetz’ Worten zuzuwenden, die von der konstruktiven Kraft der Jugend sprechen, die die Welt, in die sie hineinwachsen, wandeln können? Zum Besseren wohlgemerkt. Und erst dann zugrunde gehen. Ganz im Sinne der selbstzerstörerischen Kraft der Liebe.


© for das Pressebild: Florian Senekowitsch

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