Analoge Technik in der aktuellen Popkultur
Von Luisa Mergel
In den kleinen sympathischen Plattenladen in der Seitenstraße schlendern, gemütlich stöbern, in die Hocke gehen, um die Schnäppchen-Kisten auf dem Boden nach skurrilen Schätzen zu durchforsten. Gespannt nach Hause, auf den Teppich vor die Anlage, die Musik genießen – die Schallplatte ist mehr als nur ein Tonträger.
Das ist vermutlich auch das Geheimnis ihres Comebacks. Nachdem sie im Laufe der 90er – zumindest außerhalb der DJ-Szene – endgültig von der CD abgelöst worden war, begannen die Verkaufszahlen 2007 überraschend wieder zu steigen. Nicht nur Indie-Bands, mit ohnehin analog-affinem Publikum, sondern auch Künstler wie Beyoncé oder Eminem veröffentlichten seither Alben auf Schallplatte. Seit 2009 feiern deutsche Schallplattenliebhaber jährlich in einer bundesweiten Plattenladenwoche das schwarze Vinyl.
Aber was macht die Faszination Vinyl aus?
Die leidenschaftlichen Sammler schwärmen vom Abenteuer, das Album nicht einfach zu streamen, sondern meterlange Regale zu durchwühlen und sich mit dem Verkäufer – im Idealfall ein Verschnitt des Plattenladenbesitzers Koop aus Human Traffic – darüber auszutauschen. Auch neue Musik zu entdecken wird hier als persönlicher und inspirierender empfunden, als Vorschläge von Algorithmen zu erhalten. Dieses soziale Ereignis des Musikkonsums geriet mit der Etablierung des mp3-Formats und seinen neuen Verbreitungsformen ins Hintertreffen. Die digital natives, die sich längst an die praktischen, aber unpersönlichen Streaming-Dienste gewöhnten, entdecken es jetzt für sich wieder.
Wichtig für das Phänomen Schallplatte ist natürlich auch ihr ganz eigener Sound: das Knistern, der warme, eher obertonarme Klang oder das Geräusch des Tonarms in der Auslaufrille. Natürlich können diese Charakteristika auch digital nachgebaut werden, aber gerade das unberechenbare Zusammenspiel des Rauschens und Knisterns verleiht diesem Artefakt seine Authentizität.
Wirklich analog ist die heute auf LPs veröffentlichte Musik aber meistens nicht. Aufgenommen wird größtenteils mit aktuellem, digitalem Equipment, lediglich das Speichermedium wird analog wiedergegeben. Für Künstler und Käufer dieser Neuveröffentlichungen auf Platten muss es also noch andere interessante Aspekte geben. Die größte Rolle beim Revival der großen schwarzen Scheibe spielt vermutlich eben diese Eigenschaft: Sie ist ein haptisch erfahrbarer Gegenstand mit aufwändig gestalteter Verpackung, groß genug um als Kunstwerk auf dem Regal zu thronen.
Doch nicht nur Vinyl ist zurück. Im „Windschatten des Schallplatten-Revivals“, wie Hardy Funk es ausdrückt, feiert auch die Musik-Kassette ihr Comeback. Im Gegensatz zur Platte schien die Kassette aber irgendwie nie verschwunden zu sein. Die meisten „90ies-Kids“ kennen die Kassette noch von den Hörspielen aus ihrer Kindheit und viele haben die Mixtape-Kultur für sich übernommen. Die Kassette war die erste Möglichkeit für ganz normale Musikkonsumenten, die eigene Musik unterwegs zu hören und sich ihre Lieblingsmusik individuell zusammen zu stellen. Auch Musik, die man nicht als Tonträger besaß, konnte, geliehen von Freunden oder mitgeschnitten aus dem Radio, darauf gespeichert werden.
So brachte die Kassette eine ganz neue Kulturform mit sich. Die Konzeption einer musikalischen Einheit mit Songs aus verschiedensten Genres, oft für bestimmte Anlässe – mindestens ein Urlaubs- und Auto-Mixtape gehörten zum Standard-Repertoire – und die kunstvolle Gestaltung der Hülle oder auch der Kassette selbst machen dieses Speichermedium auch neben seinen praktischeren, klanglich besseren modernen Konkurrenten wie Mobiltelefonen und mp3-Playern zu etwas Wertvollem. Das haben auch viele Indie-Künstler für sich entdeckt. Die preiswert hergestellten Kassetten eignen sich hervorragend als günstiger Merchandising-Artikel bei Konzerten und verkaufen sich im Vergleich zu den teureren CDs viel schneller.
Neben diesem wirtschaftlichen Vorteil der Kassette für unbekanntere Bands hat die gehypte analoge Technik aber viele Nachteile. Neu veröffentlichte Alben auf Schallplatte sind auf Grund der trotz des Trends eher geringen Stückzahlen ziemlich teuer und haben – rein objektiv betrachtet – eine schlechtere Klangqualität als digitale Formate. Auch die Kassette ist spätestens nach ein paar Jahren alles andere als High-Fidelity.
Was könnte also diesen allgemeinen Analog-Trend befeuern?
Überwiegt dabei im „digitalen Zeitalter“ die Sehnsucht nach Retro und Nostalgie und die Kontrolle über die Produktion des eigenen Werkes? Oder wird analoge Technik reflektiert und in neuen Kontexten in die digitale Medienwelt integriert?
In der aktuellen Popkultur nehmen Schallplatte und Kassette gleich mehrere Funktionen ein. Bei Musik, die Stile vergangener Jahrzehnte adaptiert oder zitiert, spielt die Veröffentlichung als LP eine wichtige Rolle für die Authentizität des Künstlers und verdeutlicht die Zugehörigkeit zum alternativen Publikum.
Viele Künstler stellen aber auch originelle Bezüge zu den spezifischen klanglichen Artefakten der analogen Technik her. Paolo Nutini lässt seinen Song Someone Like You, der stilistisch deutlich auf den Soul der 60er anspielt, mit der Imitation einer Endlosrille der Schallplatte enden. In digitaler Form taucht man in den Song nicht nur durch den Stil der Musik, sondern zusätzlich auch durch dieses nachgestellte Artefakt in diese Dekade ein.
Es gibt also neben den zahlreichen Versuchen, durch die analoge Veröffentlichung den Retro-Trend zu bedienen, auch echte Auseinandersetzung mit den Bedingungen und künstlerischen Formen alter Technik.
Interessant zu sehen ist auch, dass die digitale Welt zwar anscheinend den Wunsch nach einfachen, für jeden nachvollziehbaren Techniken aufwirft, die digital natives sich dabei aber nicht beschränken lassen und die neueste Technologien trotzdem wie selbstverständlich nutzen. Die eher jüngeren Akteure und Liebhaber analoger Kunst treffen sich selten zum Dia-Abend oder im Plattenladen, sondern transportieren ihre Werke wie selbstverständlich über das Internet, wo die selbst entwickelten Fotos digitalisiert auf Blogs und Instagram veröffentlicht und die auf Platten und Kassetten veröffentlichten Alben digital zur Verfügung gestellt werden.
Dieser Retro-Trend zeigt also auch, wie unumkehrbar die Digitalisierung ist, weil die Rückkehr von analoger Technik als Nischenerscheinung ohne das Internet überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Es handelt sich daher keineswegs nur um Nostalgie.
©für das Bild: Shirt Sleeve Studio
Jethro Tull: Songs from the wood, Backcover
Chrysalis Records CHR1132, 1977
