Wenn ich Musik höre, höre ich Musik.

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Wer Kunst als „denkfreie Zone“ versteht, verpasst wertvolle Chancen. Es ist nicht die Frage der Kunst, ob Kunst ein Refugium sein kann, sondern des Betrachters, ob er vor der Wirklichkeit davon läuft, ob er einen Rückzug startet – oder eine Offensive.


von Jaspar Glaschke


„Kunst“ ist ein muffiger Begriff, der alles und nichts erfasst. Kunst ist Rollkragenpullover, anmerkendes Nicken, tiefgründiges und nichts-sagendes Schweigen. Klassisch, stilvoll, ästhetisch, bildend – laut, eklig, geil oder stumpf. Kunst ist das Produkt eines kreativen – und bislang – menschlichen Prozesses. Egal, ob das Kunstwerk schon Kunst ist, oder der Prozess selbst. Außerdem ist Kunst immer an ihre gegenwärtige Kultur gebunden. Kunst äußert ein Bewusstsein, ein Denken, eine bewusste Wahrnehmung. Kunst lässt keinen unmittelbaren Nutzen zur Lebenserhaltung erkennen. Soweit so nichtsaussagend. Alles darüber hinaus ist schwierig, komplex, abhängig von vielen verschiedenen unbekannten Einflüssen. Und wen das zurückschrecken lässt, würde weiteres eh nicht verstehen: Wenn Kunst nichts von dir will, dann hast du Kunst nicht verstanden.

Kunst kann nicht rein ästhetisch funktionieren. Falls im Zusammenhang von „Kunst“ überhaupt von funktionieren die Rede sein kann, (wie bitte sieht Kunst aus, die nicht funktioniert?) dann sicherlich nicht in Bezug auf Ästhetik. Denn wenn etwas rein ästhetisch wirken kann, dann ist es Ästhetik. Kunst „funktioniert“, wenn wir durch sie eine Idee haben, wenn wir eine Konvention plötzlich für albern oder abstoßend halten oder wenn wir stundenlang über sie nachdenken können, ohne der Intention auch nur minimal nahe gekommen zu sein. Aber Kunst, die von sich selbst verlangt, dass nicht über sie nachgedacht wird – deren einziger Zweck es ist, ein Ausdruck von unbeachteter Zwecklosigkeit zu sein? Alleine diese Idee ist so bescheuert, dass man Kunstcharakter unterstellen muss.

Aber was ist mit den guten alten Radio-Pop, stellt der denn wirklich keine Zuflucht dar? Einfach nur sein und nicht nachdenken? Das ist selbstverständlich möglich, hat aber nichts mit Transzendenz, Flucht vor Wirklichkeit oder Kunst zu tun. Das hat nicht einmal etwas mit Radiopop zu tun. Die Fähigkeit, vor Sachen zu sitzen und in den Gedanken zu schweifen, gelingt bei vielen Dingen, ob das nun zufällig Kunst oder ein Blumentopf ist. Davon abgesehen: Wollen wir wirklich an einen Ort flüchten, zu dem Radiopop der Wegweiser ist? Ist das eine wünschenswerte Alternative zur Wirklichkeit? Kann überhaupt irgendwas eine glaubwürdige Alternative zur Wirklichkeit sein?

Kunst, sagt Paul Klee, gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Kunst zeigt mit dem Finger und gleichzeitig muss auch ein Finger auf Kunst zeigen: Das ist sie. Dieses Bild, was dort hängt, das hängt da mit einem Grund. Diese Farben haben eine Bedeutung. Das Motiv ist nicht das erste, was der Künstler sah. Der Rahmen gehört selbstverständlich auch dazu. Und diese Töne, die du hörst, haben einen Zusammenhang, der jedem von ihnen einen bestimmten, bewussten Platz zuweist. Die Macht der Gestaltung erscheint brutal, verglichen mit dem allgegenwärtigen Einfluss des Zufalls. Der Held, der aus diesem Kampf hervorgeht, sollte vor diesem vernichtendem Urteil verschont bleiben: „Durch deine Kunst kann ich so richtig gut abschalten.“ Und das Kunstwerk steht auf einem Podest, durch seine Form hervorgehoben aus dem Formlosen. Da steht es nun. Und es schreit: Sie mich an, hör mir zu, denk über mich nach, verstehe mich. Lass dich vonmir berühren. Verinnerliche mich. Das letze, was Kunst schreit ist: Beachte mich gar nicht.

Natürlich ist es möglich, vor Kunst zu stehen und sie einfach nur oberflächlich schön zu finden. Uns in den Moment fallen zu lassen und über nichts nachzudenken, eine Pause einzulegen. Das hat aber nichts mit der Kunst zu tun; sondern nur mit unserem uninteressierten Blick auf diese.

Anstelle Kunst als eine Pause zu betrachten, damit wir ansonsten aufmerksamer und leistungsfähiger sind, sollte Kunst uns zeigen, wohin unsere Bemühungen gehen sollten. Lieber ohne Entspannungzum richtigen, bewussten Ziel als gedankenverloren durch irgendwelche Ausstellungen laufen um dann kraftvoller ein Hamsterrad bedienen, das genauso zwecklos wie ist wie der Erholung davon.


© für das Bild: Erwin Wurm: One Minute Sculptures: Erwin Wurm (*1954); Throw yourself away (Quartet for Antwerp), 2004; Mülleimer, Zeichnung mit Instruktion, Performer; Foto: Studio Wurm; © Studio Wurm; courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg (A), Paris (F)

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