Clowns und Kröten

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Vom angeschlagenem Verhältnis zwischen Kapitalismus und Kunst


von Jaspar Glaschke


Es gibt diese besonderen Momente, in denen Kunst etwas Unbegreifbares fühlbar macht. Momente, in denen wir etwas verstehen, wovon wir nicht einmal wussten, dass wir es uns permanent gefragt haben. Dieses eine Bild oder diese Melodie, ein Tanz oder Worte, die den Menschen ganz weit weg bringen können. Kunst bahnt einen unmittelbaren Weg durch die Schwierigkeit des Alltags. Sie schafft eine emotionale Verbindung, eine Kritik oder eine wichtige Frage, wo gerade noch die banalen Gedanken an Mittagessen, Wetter und der Zahnschmerz waren. Das ist Kunst. Und dann gibt es noch den bösen Kapitalismus. Hier haben wir statt Leidenschaft Gewinnmaximierung, statt Ästhetik maßlose Akkumulation, manipulierte Bedürfnisse anstelle von Menschlichkeit und den Konsum, der die Selbstbestimmung gezielt benebelt.

So oder so ähnlich dürfte es der Philosoph und Systemkritiker Theodor W. Adorno gesehen haben, der in seiner negativen Dialektik Kunst die Möglichkeit zur Befreiung aus dem Konsum, stellvertretend für die Unmündigkeit, attestiert. Und damit war und ist er nicht alleine. Die Befreiung aus profit- und wachstumsorientiertem Denken und Handeln zu einer Unabhängigkeit. Kann Kunst sogar das? Will Kunst das?

Was ist das überhaupt? Kunst. Gehen wir von der zeitgenössischen Konzeptkunst aus, kann Kunst sehr viel sein. Alles. Sowohl Töne, also medial betrachtet lediglich Schallwellen, die nur wenige Sekunden im Raum schwingen, als auch ein Objekt, das für die „Ewigkeit“ konstruiert wurde. Ein Bild, ein Tanz, ein Gedicht, aber auch Fäkalien oder tote Tiere. Oder auch die Kombination aus unterschiedlichem: Oper, Theater, Musikvideos, Kino. Bei soviel Artenvielfalt wird klar: Es ist nicht das Material oder das Medium, sondern eine Idee das Kunstwerk. Es ist die Idee eines schwarzen Quadrates, es ist die Idee einer Fettecke. Stahl, Holz und Geräusche werden durch diese Idee mehr als Material, sondern zu einem Kunstwerk.

Und ein Kunstwerk entsteht immer wieder! Als ein Dialog zwischen zwei Individuen, dem Künstler und dem Rezipienten. Die Qualität dieses Dialoges ist bestimmt durch die beiden Beteiligten, die Idee und das Medium, also das Kunstwerk selbst. Ganz zu schweigen von allen äußeren Faktoren wie Zeit, Rahmen, Subjektivität, Ort und Ästhetik, die den Dialog ermöglichen und beeinflussen. Die Mona Lisa zeigt sich mir anders als allen anderen Menschen, anders als sie sich vor 100 Jahren zeigte und ganz anders als der billige dekorative Druck in einem Café – würde das Original in einem Café überhaupt Beachtung finden? Die Qualität der Kunst sollte ein Indikator für Interesse, Klarheit, Bedeutsamkeit, oder die Relevanz der Frage, die das Kunstwerk stellt, sein. Die Qualität der Kunst sollte nicht über einen Preis definiert sein, sondern genau andersherum. Kunst ist nicht quantifizierbar. Sie hat nicht immer einen kapitalistischen Wert – aber sie hat immer einen Preis.

Kunstmarkt und Kulturindustrie haben schon längst eine knallharte kapitalistische Dimension. Geld in Form von Kunst. Was kauft der Käufer, wenn er in Kunst investiert? Das Material oder das Medium des Kunstwerkes geht in die Hände eines Käufers, doch die Idee bleibt immer Eigentum der Gesellschaft, durch die sie inspiriert und entstanden ist.

Zurück zur Frage. Kann uns diese Kunst aus dem kapitalistischen System befreien? Bietet Kunst wirklich realistische Alternativen? Kann sie selbst losgelöst von kapitalistischen Strukturen sein? Sicher nicht. Eine romantische Vorstellung. Unter großer Askese und selbstgewähltem Leid verweigert sich der aufgeklärte Künstler den Verführungen und simplen Glaubensgrundsätzen des Kapitalismus und bereichert die gefangene und verführte Bevölkerung von außerhalb der Tretmühle mit seinen Ideen. Aber muss Kunst sich nicht mit genau der Gesellschaft innerhalb der Tretmühle auseinandersetzen, um überhaupt verstanden oder registriert werden zu können? Reicht es, wenn der Prozess des Herstellens ohne Kapital auskommt?

Auch wenn eine Kunst frei dieser Zwänge möglich wäre, würde sie zwangsläufig Bezug zu Gegenständen nehmen, die nur innerhalb von dieser wirtschaftlichen Engführung möglich sind. Wie soll sie aussehen, die Befreiung durch Kunst? Da unsere Welt nicht frei ist, kann unsere Kunst nicht frei von Kapitalismus sein. Und daher auch nicht gänzlich von ihm weisen. Auch der aggressivste Versuch, dem Kapitalismus zu schaden, würde sich auf ihn beziehen. Oder, Stichwort Kaufhausbrand, sogar stärken. Außerdem muss jeder Künstler Grundbedürfnisse decken. Selbst wenn Kunst generell ohne Wirtschaft auskäme, wie lange würden Künstler ohne Kapital in der westlichen Welt überleben?

Zu Adornos Zeiten gab es den Kapitalismus auf dieser und den Kommunismus auf der anderen Seite: Die Systemfrage, zu der es allzu viele einfache ideologische Antworten gab. Diese strenge Teilung gibt es nicht mehr. Sobald es eine Gruppe von Menschen gibt, ist eine Form von Ökonomie notwendig. In erster Linie zur Befriedigung von Bedürfnissen, sei es durch Tausch, einem Geldsystem, Arbeitsteilung oder Spezialisierungen. Wir leben gut mit dem Kapitalismus, und er ist allgegenwärtig.

Es ist ja mittlerweile nicht einmal mehr unrühmlich, wenn durch Kunst Geld verdient wird. Adorno sagt, einen autonomen Charakter erhält die Kunst nur, wenn nicht die Frage nach Wert, Absatz, Profit und Nutzen gestellt wird. Es ist schwierig, diese Frage heute nicht mehr zu stellen. Obwohl es eh keine treffenden Antworten gibt.

Kunst kommt ohne Kapitalismus gegenwärtig nicht aus. Künstler erschaffen Kunst, indem sie die kapitalistischen Strukturen nutzen. Material muss gekauft werden, auch Künstler gefüttert und auch der Input und die Bildung kommen aus dieser kapitalistischen Welt. Kapitalismus kann ohne Innovation und Kreativität nicht. Warum könnte er nicht als Werkzeug oder neues Medium dienlich sein? Die prägendste Eigenschaft von Kapitalismus ist Maßlosigkeit. In einem maßlosem Raum kann theoretisch alles entstehen. Auch Kunst. Vielleicht wäre es an der Zeit, die künstlich gezogenen Grenzen aufzuheben, eine Disziplin, in der sowohl Wirtschaft als auch Kunst gut sind, und gemeinsam etwas zu erschaffen, dass sowohl Kunst als auch Wirtschaft ist. Eine neue Wirtschaftsform, ein Kunstwerk aus Kapitalismus. Vielleicht ist es die Kunst, die der Wirtschaft und der Gesellschaft weiterhilft. Es gibt dadurch einen scheinbaren wirtschaftlichen Profit und der Künstler erreicht seinen Wandel und die Menschen mit stärkerem Nachdruck in einer Sprache, in der sie zu konsumieren gewohnt sind.

Die Kunst hat die vielleicht nicht die praktische Möglichkeit, den Menschen aus der Unmündigkeit zu befreien. Sie kann eine Waffe gegen den Kapitalismus sein, aber sie ist aus dem selben Eisen gegossen. Sie sollte die Gesellschaft prägen, ihre Werte etablieren und menschlicher gestalten. Sie kann den Kapitalismus nutzen, hin zu einer größeren, aber nicht vollständigen Mündigkeit selbst machen. Und damit wäre womöglich sogar Adorno einverstanden.


©für das Bild: WDR/Hans Peter Feldman/filmstill

aus der Dokumentation von Martina Müller:

http://www1.wdr.de/fernsehen/wdr-dok/sendungen/geld-macht-kunst-100.html

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