Von Julia Fischer
Ob Gebrauchsmusik, Angewandte Musik oder Funktionale Musik: All diese Begriffe beschreiben diejenige Musik, die nicht als reine Kunst, sondern wegen eines bestimmten Zwecks oder einer bestimmten Aufgabe entsteht. Sie ist immer gebunden an etwas Außermusikalisches und steht so im Kontrast zur „absoluten“ oder „reinen Musik“.
Funktionale Musik kommt in den unterschiedlichsten Umfeldern vor, ob im Fitnesscenter, in Geschäften, bei Veranstaltungen – oder eben in Medien wie Film, Hörspiel und Fernsehen.
Da Angewandte Musik geschrieben wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, folgt sie psychologischen Auffassungsmustern, d.h. wie welcher Klang vom Menschen auf welche Art wahrgenommen wird und wozu dieser dann führt.
Man nutzt funktionale Musik zusätzlich zu einem anderen Produkt oder Medium als weitere Kommunikationsebene, indem man versucht, durch einen bestimmten Sound Empfindungen zu verstärken. In der Musik geht es dabei eher um die Vermittlung von Stimmung oder Gefühl; betrachtet man alle Aspekte des Sounds, dreht es sich darüber hinaus auch um klangliche Reize und natürliche Reaktionen. Kognitionsforscher untersuchen daher schon lange die psychologische Wahrnehmung von Klang und akustischem Reiz. Auch Sounddesigner und Komponisten, die funktionale Musik konzipieren, müssen diese Wahrnehmungsmuster natürlich genau kennen.
Dadurch geht es bei Gebrauchsmusik auch nicht um ihre Originalität, sondern eher um das Erfüllen des Zwecks, ob verstärkende oder erinnernde Funktion.
Neben Kognitionsforschern interssieren sich auch Sounddesigner und Komponisten für die Wahrnehmung von Klang und akustischem Reiz.
Besonders in der Werbung greift man deshalb auf einfache Melodien, prägnanten Klang oder den einprägsamen Jingle zurück. Denn der Käufer soll sich ja an das genaue Produkt erinnern können, wenn er vor der Entscheidung für ein endgültiges Produkt steht. Ältere und bekannte Songs sind deshalb ebenfalls ein willkommenes Mittel, man setzt auf Retro oder Hit und zielt auf positive Erinnerungen aus der Vergangenheit ab – eine Reminiszenz zwischen Produkt und Konsument.
Ob berühren oder beruhigen, ob bewegen oder beweihräuchern, bei der funktionalen Musik kann man sich ziemlich sicher auf erforschte Gestaltungsprinzipien und -motive verlassen.
Das direkte Anknüpfen der Filmmusik an das Bild funktioniert über die Lautmalerei. Dinge, Situationen oder Handlungen, die im Bild gezeigt werden, versucht man durch Klänge zu unterstützen, welche den Klang des Dargestellten nachahmen: Ein kleiner Junge purzelt die Treppe hinunter, er überschlägt sich und bleibt schließlich am Ende der Treppe liegen. Schnell kann sich jeder vorstellen, wie diese Szene wohl in
lautmalerische Filmmusik umgesetzt werden würde. Diese Art von Filmmusik wurde früher vor allem oft in Kinderzeichentrickserien angewandt wie zum Beispiel Tom und Jerry und Micky Mouse. Daher nennt man diese Technik „Micky Mousing“. Die Praxis stammt noch aus Zeiten des Stummfilms, indem die Musik nicht nur verstärkenden oder unterstützenden Charakter hatte, sondern die akustische Leere des Films füllen musste und das Gezeigte im Bild klanglich darstellte. Wenn auch heute nicht mehr so häufig verwendet, findet man Micky Mousing auch in vielen gegenwärtigen Actionfilmen wie beispielsweise den Spiderman-Verfilmungen.
Die meiste Filmmusik arbeitet allerdings nicht mehr nach dem Prinzip, alles Dargestellte im Bild auch in der Musik widerzuspiegeln. Durch ein gutes Sounddesign, in dem Sprache, Atmosphäre, Foley und Soundeffekte schon abgebildet sind, ist Micky Mousing nicht mehr unbedingt nötig. Filmmusik wird viel mehr als Verstärkung der Stimmung, als Verortung oder Vermittlung einer bestimmten Atmosphäre genutzt. Durch gezielten Einsatz eines musikalischen Themas in bestimmten Szenen kann darüber hinaus, ohne es im Bild zu zeigen, zwischen verschiedenen Szenen eine Verbindung hergestellt werden, das Unterbewusste angeregt, Entwicklungen antizipiert und jegliche Szene in ein bestimmtes Licht gerückt werden.
Bricht man die Mittel der Komponisten herunter, verfügt man zuerst über einfache Parameter wie Tempo, Klangfarbe, Tonvorrat, Timing und Lautstärke. Natürlich sind diese Parameter so entscheidend für ein Stück, dass sie es in eine eindeutige Richtung lenken. Trotzdem fehlt noch einiges, um das Klima einer Szene im Film zu treffen. Grundsätzliche Konzepte wie der Einsatz, die Präsenz der Musik im Bezug auf das Bild, die Instrumentation, sowie die Verarbeitung von kulturell und traditionell passenden Musikstilen und Klangfarben tragen alle zur musikalischen Wirkung bei. Auch wenn die meisten Zuschauer eines Films wahrscheinlich nicht direkt auf den Soundtrack achten, hat dieser eine wirkmächtige Position.
Man muss sich nur die klassische Szene eines Films vorstellen, in dem durch Parallelmontage zwei Szenen zur selben Zeit semantisch zusammengefügt werden. Achtung Beispiel: Person A hat einen Plan, der zeitnah umgesetzt werden soll, Person B will diesen Plan verhindern. Diese Filmsequenz hat jeder schon oft in Filmen unterschiedlichster Genres gesehen. Natürlich lässt sich die Sequenz mit dem Bild inszenieren, es kommt auf den Dialog, das Umfeld und die Bewegung im Bild an. Trotzdem könnte die ganze Absicht der Sequenz mit gezielten musikalischen Gesten vollkommen verändert werden: Schnell könnte die Handlung mit der entsprechenden Musik in ein dramatisches, actiongeladenes „Rennen gegen die Zeit“ verwandelt werden, bei der bei zu spätem Ankommen von Person A bei Person B, oder Zulassen des Plans von Person A eine Katastrophe droht. Wahrscheinlich hätte man es so erwartet. Was passiert aber, wenn die gleiche Szene mit einem sehr ruhigen atmosphärischen Klangteppich unterlegt wird, oder gar mit einer lieblichen Melodie, die als Motiv in völlig anderen Situationen verwendet wurde – oder was passiert, wenn die Szene von einer komödiantischen Blaskapelle untertönt wird, die augenscheinlich sehr unpassend ist? Richtig, sofort stellt sich in der Vorstellung der verschieden eingesetzten Musik ein
komplett anderes Interpretieren der Handlung im Kopf ein. Wie wir eine Filmszene bewerten und empfinden, hängt also genauso vom Bild wie vom Soundtrack und vor allem vom Zusammenspiel dieser beiden Komponenten ab. Die Aufmerksamkeit des Betrachters kann auf bestimmte Bild- oder Handlungselemente gelenkt werden, die Musik kann die Umgebung, die Handlung, den psychischen Zustand einer Person oder eine metaphorische Aussage in den Fokus rücken.
Grundsätzlich hat die oder der Komponierende dabei zwei Möglichkeiten, die Musik im Film auftreten zu lassen: Entweder die Musik wird von außen hinzugefügt, erschließt sich also nicht aus dem Handlungszusammenhang und wird quasi aus dem Off eingespielt, oder aber der Einsatz der Musik hängt mit dem narrativen Raum des Films und des gezeigten Bildes zusammen: wenn zum Beispiel Audrey Hepburn im Film Breakfast at Tiffany’s in ihrem Fenster sitzend zur Gitarre Moon River haucht, sieht auch der Zuschauer, warum man gerade diese Musik hört. Diese Einbringung der Musik nennt man „diegetische Musik“. Betrachtet man hingegen die Eröffnungsszene des Films, sieht man Audrey Hepburn, wie sie aus einem Taxi steigt und in das Schaufenster von Tiffany sieht. Auch hier ertönt Moon River, allerdings in einer Orchesterversion mit Chor. In der abgebildeten Szene lässt sich durch nichts erklären, warum die Musik zu hören ist – kein Orchester, kein Chor – man spricht hier von nicht-diegetischer Musik.
Das gleiche Prinzip findet man beim Film aber nicht nur in der Musik wieder, sondern auch im Sounddesign und der Sprache. Ein Dialog in einer Szene ist diegetisch, Off-Texte wie die Stimme eines Erzählers non-diegetisch. Diegetische Klänge sind alle, die zu Soundeffekten, Foley oder der Umgebung gehören, nicht-diegetische Sounds charakterisieren eher eine Stimmung, eine Atmosphäre oder das Befinden eines Protagonisten durch ein Ticken, Brummen oder andere Geräusche. (Bsp.: Punch-Drunk, Love – Schreien am Telefon).
Neben der Filmmusik, die eigens für einen bestimmten Film komponiert wurde, findet man in Soundtracks aber auch immer wieder Stücke oder Songs, die als reine Musik veröffentlicht wurden und dann erst später mit dem Film verknüpft wurden, genannt präexistente Filmmusik.
Die Stücke sind zwar nicht gezielt für eine Szene geschrieben worden, aber mit präexistenter Musik im Film eröffnen sich neue Möglichkeiten. Werden beispielsweise berühmte Stücke wie die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi oder Beethovens Fünfte Sinfonie verwendet, erkennt der Zuschauer sofort die Musik, erinnert sich im Nachhinein an sie und somit auch an die Szene. Zudem wird diesen Stücken auch unabhängig vom Film eine bestimmte Bedeutung, Erzählung oder Absicht zugeordnet und bei Verwendung der Stücke eine Projektion dieser auf die Szene übertragen. Diese Art von Filmmusik wird deshalb sehr oft in Werbung verwendet. Die Szene wird also durch die eigene Bedeutung der Musik semantisch ergänzt, wie in Apocalypse Now während des Hubschrauberangriffs durch Wagners „Ritt der Walküren“ oder in der „Coco Mademoiselle“ Parfüm-Werbung von Chanel durch „It’s A Mans World“. Beispiele dafür lassen sich viele finden. Stanley Kubrick, einer der berühmtesten Regisseure, stärkt seine Bilder oft mit präexistenter Musik wie in 2001: A Space Odyssey, Dr. Strangelove oder A Clockwork Orange.
Doch bei manchen Filmen scheint die semantische Ergänzung eher eine semantische Verschiebung zu sein: wenn Jesus in Monty Python’s Life of Brian am Kreuz mit den anderen Gekreuzigten anfängt „Always Look On The Bright Sight Of Life“ zu singen oder wenn während der Explosion der Nuklearbombe in Dr. Strangelove die Welt unter geht und der Song „We’ll Meet Again“ von Vera Lynn eingespielt wird.
Wie man an den zahlreichen Beispielen und verschiedenen Arten von Filmmusik gesehen hat, dient Filmmusik vielen unterschiedlichen Zwecken und keineswegs nur zum Füllen der Stille oder als musikalische Untermalung. Filmmusik – oder besser gesagt Soundtrack – entscheidet genau so stark über die Qualität eines Films wie Schauspieler, Bild oder Drehbuch. Soundtrack kann verstärken, lenken, projizieren, verbinden, ironisieren, semantisch ergänzen oder verschieben und ist somit prägender Bestandteil eines Films.
