
Von Fabian Macco
Wenn es im Film ruhig wird, kann das viele Gründe haben. Ein Beispiel ist die bekannte Ruhe vor dem Sturm wie in Der Herr der Ringe: Die Zwei Türme, kurz vor der Schlacht um Helms Klamm, wenn die verteidigenden Soldaten auf die herannahenden feindlichen Truppen blicken. Eine andere Möglichkeit ist der Ausdruck von Verzweiflung und Sprachlosigkeit nach dem Kampf wie in Marvel’s The Avengers, nachdem der sympathische Agent Coulson stirbt und die Superhelden einsehen müssen, dass der Plan des Bösewichts aufgegangen ist.
Wie viel Stille im Film eingesetzt wird, unterscheidet sich bei verschiedenen Regisseuren recht deutlich. Während beispielsweise Jim Jarmusch für seine eher ruhigen Filme bekannt ist, bildet der Action-Regisseur Michael Bay wohl das andere Ende der Skala. In den meisten seiner Filme wie zum Beispiel Transformers, herrscht eine relativ gleichbleibende Lautheit. Der Zuschauer wird pausenlos mit brachialer Action bombardiert, was zu Beginn noch recht aufregend ist, nach einer Weile jedoch an Reiz verliert. Grund ist, dass sich das Gehör auf die Lautheit einstellt und daher auch eine noch so große Explosion irgendwann nicht mehr überraschen und beeindrucken kann. Umgekehrt wird das Ohr in leisen Situationen sensibilisiert, was zur Folge hat, dass auch ansonsten leise Geräusche relativ laut klingen können. Ein Wechsel von lauten und leisen Passagen im Film kann also für Abwechslung und damit auch für eine gewisse Spannung sorgen.
Doch was ist Stille überhaupt? Der Begriff der Stille ist zunächst einmal etwas irreführend, da es sich nur in den seltensten Fällen um absolute Stille, also das Fehlen jeglicher Geräusche und Klänge handelt. Ein Beispiel hierfür ist die Schweigeminute in Jean Luc Godards band à part, die auf den Zuschauer ungewohnt und seltsam befremdlich wirkt. Man wird gezwungen, die Welt mit ihren Geräuschen außerhalb des Films wahrzunehmen, ähnlich wie im berühmten Musikstück 4’33’’ von John Cage, welches seine Zuhörer mit der natürlichen Geräuschkulisse des Konzertsaals konfrontiert.
Im Film kann Stille, neben Musik und Soundeffekten, ein wirksames Mittel sein, um verschiedenste Emotionen und Stimmungen auf akustischer Ebene auszudrücken oder zu verstärken. Sie kann dabei helfen, sich in Filmcharaktere einzufühlen und deren subjektives Erleben nachzuspüren wie bei den verstörend realistischen Anfangsminuten von Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan. Das Sounddesign, das zu Beginn ganz auf Musik verzichtet, verdeutlicht die Angst der Soldaten vor der unmittelbar bevorstehenden Schlacht am Strand von Omaha Beach. Besonders intensiv ist die Szene, in der die Kamera das Geschehen aus der Sicht von Captain Miller (Tom Hanks) zeigt, der zusehen muss, wie seine Kameraden brutal getötet werden. Als Miller einen Hörsturz erleidet, wird der Ton langsam heruntergefahren, bis nur noch leises Rauschen zu hören ist, durch das Schüsse und Explosionen nur dumpf und wie weit entfernt klingen.
Um sich dem Begriff der Stille im Film weiter anzunähern, ist es sinnvoll, sich zu fragen, wo uns Stille im realen Leben begegnet. Welchen Einfluss hat sie auf uns, was assoziieren wir mit ihr? Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich sehr individuell. Auch der Kontext, in dem Stille auftritt, spielt dabei eine große Rolle: Ist sie bewusst herbeigeführt wie beispielsweise in Bibliotheken, um intensives Denken zu fördern, die Konzentrationsfähigkeit zu steigern oder sich zu entspannen? Oder wird man unfreiwillig mit ihr konfrontiert, wie beispielsweise in einem Gespräch, in dem plötzlich ein peinliches Schweigen einsetzt, das für beide Gesprächspartner unangenehm ist? Folglich kann man der Stille ohne einen Bezugsrahmen nur schwer grundsätzlich positive oder negative Eigenschaften zuschreiben.
Ein filmisches Beispiel, bei dem Stille als konzentrationsförderndes und spannungssteigerndes Mittel dient, findet sich in der Einbruchsszene aus Brian De Palmas Mission Impossible. Tom Cruise versucht als Geheimagent Ethan Hunt vertrauliche Computer-Dateien aus einem überaus gut geschützten Tresorraum zu stehlen. Er wird dabei von seinem Komplizen langsam aus einem Lüftungsschacht nach unten abgeseilt. Die beiden Agenten bemühen sich, hierbei möglichst keine Geräusche zu verursachen, um den auf akustische Reize reagierenden Alarm nicht auszulösen. Auch der Boden darf nicht berührt werden, da sonst ebenfalls der Alarm ausgelöst wird; Hunt schwebt daher die gesamte Szene hochkonzentriert an einem dünnen Seil auf Höhe des Computers. Die Konzentration überträgt sich auch auf den Zuschauer, der dadurch ein Teil der Mission wird. Jedes noch so kleine Geräusch wie etwa das Knarren der Seilwinde, eine Ratte, die sich im Lüftungsschacht bewegt oder ein herunterfallender Schweißtropfen, der gerade noch rechtzeitig mit der Hand aufgefangen wird, stechen extrem hervor und durchbrechen für einen Moment die fragile Stille.
Das Hervorheben einzelner Klangelemente wie in Mission Impossible kommt auf eine ganz andere Weise in No Country for Old Men von Joel und Ethan Coen zum Tragen. Die Stille fokussiert sich hierbei nicht nur auf eine Szene, sondern liegt wie ein dünnes Tuch über dem gesamten Film. Auf Musik wird dabei fast gänzlich verzichtet, was eine seltsame Grundspannung erzeugt, welche die Rauheit der menschenleeren Landschaften und Straßen verstärkt und dem Film einen hohen Grad an Realismus verleiht. Dieser sorgt nicht selten für eine gewisse Unbehaglichkeit beim Zuschauer, etwa in der Szene, in der sich der psychopathische Serienmörder Anton Chigurh (Javier Bardem) in einem Motelzimmer selbst verarztet, nachdem er angeschossen wurde. Aufgrund der sehr reduzierten Klangebene wird bestimmten Elementen eine übergroße Bedeutung verliehen. Neben Naturgeräuschen wie etwa dem Wasser eines Flusses oder dem Wind, der durch die Wüste streift, sind dies vor allem Automotoren und Schussgeräusche, die in verschiedensten Variationen auftauchen. Besonders hervorzuheben ist das unverkennbare Schussgeräusch von Chigurhs Luftdruckpistole, die normalerweise zum Töten von Rindern in Schlachtbetrieben eingesetzt wird und seinen psychopathischen Charakter unterstreicht.
Ein Extrembeispiel für die Unbehaglichkeit, die Stille im realen Leben auslösen kann, ist ein Raum im Forschungszentrum von Microsoft in Washington, der beinahe 100 Prozent des Schalls isoliert und einen Schallpegel von Minus 20 Dezibel aufweist. Es ist dort beinahe so leise wie im Weltall. Aufgrund der Sensibilisierung des Gehörs nimmt man nur die Geräusche seines eigenen Körpers wahr wie etwa den Pulsschlag oder sogar die Bewegung der Lunge. Dies ist bereits nach kurzer Zeit derart unangenehm, dass es bisher keine Testperson länger als 45 Minuten darin ausgehalten hat. Ein Grund ist das Fehlen von zurückgegebenem Schall, der dem Menschen normalerweise bei der Orientierung in seiner Umwelt hilft. Hinzu kommen dadurch ausgelöste Halluzinationen, die auf den Menschen recht verstörend wirken können.
Der prominenteste schalltote Raum im Film ist das Weltall, dessen akustische Darstellung Regisseure und Sounddesigner stets vor große Herausforderungen stellt. Oftmals werden die physikalischen Gesetze einfach ignoriert, zum Beispiel dann, wenn Schallereignisse wie der Antrieb von vorbeirauschenden Raumschiffen oder Explosionen genau so zu hören sind, als würden sie sich in der Atmosphäre der Erde ereignen.
Es finden sich jedoch auch andere, teils sehr innovative Wege, mit dieser Problematik umzugehen. Ein Beispiel hierfür ist der Film Gravity von Alfonso Cuarón, der im Vergleich zu anderen SF-Filmen sehr realitätsnah ist. Ein zentraler Aspekt ist das Prinzip des Körperschalls: die Raumanzüge und Körper der Astronauten dienen dabei als Medium. Nur durch Berührung mit Objekten kann so über die entstehende Vibration Schall geleitet werden. Die Geräusche, die der Zuschauer hört, sind dieselben, die auch die Charaktere im Film hören.
Dieses Prinzip wird auch in Babel (Alejandro Gonzáles Iñárritu) eingesetzt, wenn ein taubstummes Mädchen die Tanzfläche einer Diskothek betritt und aus ihrer Sicht nur Vibrationen der wummernden Bässe zu spüren sind.
In diesen Beispielen ist es dem Zuschauer besonders gut möglich, sich intensiv mit den Filmcharakteren zu identifizieren.
Ein Science-Fiction-Meisterwerk, das hier nicht unerwähnt bleiben sollte, ist Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum. Auch in diesem Film wurde sehr viel kreative Arbeit geleistet, was die Soundebene betrifft (und auch alle anderen Ebenen). Besonders bemerkenswert ist die Szene, in der die künstliche Intelligenz HAL 9000 den Astronauten Frank tötet, als dieser das Raumschiff für Reparaturarbeiten verlässt. Zunächst sind noch Franks Atemgeräusche und die Atmosphäre in seinem Raumanzug zu hören. Als HAL jedoch den Luftschlauch des Anzuges durchtrennt, wird Frank vom Schiff weggeschleudert. In diesem Moment setzt absolute Stille ein. Franks hektische Bewegungen bilden auf visueller Ebene einen starken Kontrast zur Stille, welche eher mit Bewegungslosigkeit assoziiert wird. Gleichzeitig entsteht ein akustischer Kontrast zum schalltoten Raum durch das sprunghafte Ein- und Ausblenden der Atmosphäre, wenn die Kamera für kurze Momente zum Astronauten im Inneren des Raumschiffes springt.
Dieser Streifzug durch die Stille könnte noch ewig so weitergehen, es gäbe mehr als genug interessante Filme, die sich ihr auf verschiedenste Weise als Ausdrucksmittel bemächtigen.
© für das Foto: – https://www.nasa.gov/specials/lego/
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Human_mission_to_Mars