
Von Marek Börsig
Wenn Tom Holkenborg die Zuschauer auf seinem YouTube-Kanal durch sein Produktionsstudio führt, leuchten seine Augen. Er steht vor zahlreichen Synthesizern, erklärt geduldig die Entstehungsdaten und Vorzüge der einzelnen Geräte und führt die individuellen Sounds vor. Kaum ein bekannter Synthesizer der 70er und 80er Jahren ist hier nicht vorzufinden. Hinzu kommen selbstgebaute Instrumente, wie das „Piano of Hell“ und das große Set-Up der Workstation. Auf die Frage, was er sich selbst mit 18 Jahren raten würde, lacht er nur und antwortet: „I would tell myself to chill the beep out.“
EIN KURZER RÜCKBLICK
Mittlerweile hat er dazu keine Zeit mehr. Tom Holkenborg, auch bekannt unter dem Namen Junkie XL, ist seit einigen Jahren ein gefragter Filmkomponist in Hollywood. Seine Karriere führte ihn allerdings auf Umwegen zu seiner jetzigen Arbeit. Ab 1997 tourte Holkenborg als DJ und Produzent unter dem Synonym Junkie XL durch die ganze Welt. Vor allem dem Progressive House und dem Big Beat ließen sich seine Kompositionen und Mixes zuordnen. Den größten Erfolg feierte der Holländer 2002 mit seinem Cover des Elvis-Klassikers „A Little Less Conversation“.
Sich für die Filmmusik zu interessieren begann er, als einer seiner Songs 1998 in Stephen Norringtons Blade verwendet wurde. Statt seine zahlreichen Kontakte zu nutzen, um auf diese Weise einen Film zu vertonen, begann er quasi bei null. Holkenborg fing an bekannten Filmkomponisten zu assistieren und konnte sich so langsam das nötige Wissen aneignen. Bald bekam er die Möglichkeit, vereinzelte Szenen zu vertonen, arbeitete unter anderem 2005 am Matrix-Spiel The Matrix: Path of Neo mit und konnte in Hollywood Kontakte knüpfen.
Nachdem er sich bereits einen Namen in der Szene gemacht hatte, bekam Holkenborg 2007 von Hans Zimmer das Angebot, in dessen Studio „Remote Control“ zu arbeiten, lehnte dieses aber ab. Stattdessen arbeitete er weiter wie bisher, bis 2010 Christopher Nolan und Hans Zimmer einen CD-Mix für ihren Film Inception brauchten. Holkenborg übernahm die Arbeit an diesem Projekt und begann noch im selben Jahr in zusammen mit Zimmer die Filme Megamind und Madagaskar 3 zu vertonen. Das erneute Angebot Remote Control beizutreten nahm er 2010 dann an.
Auch in den folgenden Jahren arbeitete Junkie XL eng mit Hans Zimmer zusammen: bei der gemeinsamen Vertonung der Superman Origin-Story Man of Steel (2013) lernte er Zack Snyder kennen. Der Regisseur verhalf ihm auch gleich zu seinem nächsten und ersten eigenen Projekt 300: Rise of an Empire. Endgültig in der Szene angekommen, ließen weitere Aufträge nicht auf sich warten. Mit dem Teenie-Actionfilm Divergent (2014), Mad Max: Fury Road (2015) und Deadpool (2016) hat Junkie XL in den letzten Jahren zahlreiche Kinofilme vertont.
Gerade die Vergangenheit Holkenborgs als DJ und Produzent machen es interessant auf die musikalische Sprache der von ihm vertonten Filme einzugehen. Einen näheren Blick sind in dieser Hinsicht vor allem die Filme Mad Max, Deadpool und Batman vs. Superman (2016) wert. In letzterem arbeitete Junkie XL erneut mit Hans Zimmer zusammen, woran man gut die Unterschiede der beiden Komponisten erkennen kann.
MAD MAX: FURY ROAD
Die postapokalyptische Atmosphäre, in der Mad Max: Fury Road spielt, prägt auch die musikalische Sprache der Vertonung. Antreibende Ethno-Drums dominieren die von Junkie XL komponierte Musik und werden ergänzt durch Synthesizer-Sounds und großflächige Streicher. Tom Holkenborg bedient sich, genau wie Hans Zimmer, einer weit verbreiteten Technik bei der Vertonung von Filmen. Bei der sogenannten Leitmotiv-Technik werden wichtigen Charakteren Themen bzw. Leitmotive zugeteilt. Diese helfen die Figuren zu charakterisieren und ermöglichen einen kreativen Umgang mit den Entwicklungen im Film. Genau diese Technik nutzt Junkie XL auch in der Vertonung des Films Mad Max.
Insgesamt arbeitet der Holländer mit drei Motiven, von denen jeweils eines den drei Hauptfiguren zugeordnet wird. Hinzu kommt ein weiteres Motiv, welches die Action-Szenen dominiert. Die drei Hauptmotive passen vom Charakter her sehr gut zu den Figuren, zu denen sie gehören: Während Furiosa, die weibliche Hauptfigur, eine emotionale Streichermelodie als Thema zugewiesen bekommt, hat der Antagonist Immortan Joe ein Thema, welches aus vier tiefen, ansteigenden Synthesizer-Tönen besteht und dadurch sehr bedrohlich wirkt. Max, die Hauptfigur, bekommt hingegen ein Motiv, das seinen Überlebensdrang in den Vordergrund stellt, hin und wieder auch als Zäsur benutzt wird und aus ein bis drei tiefen, repetierten Streichertönen besteht. Die Motive tauchen über den ganzen Film verteilt immer wieder in verschiedenen Variationen auf.
Hinzu kommen die Action-Szenen, deren Musik von lauten, fetten Drum-Rhythmen angetrieben wird. Grund für die Massivität des Trommel-Klangs ist die Breite an Sounds, die hier zum Einsatz kommen. Denn insgesamt sampelte Junkie XL ganze 500 verschieden Schlag-Instrumente – das Ergebnis lässt sich hören.
Ein weiteres wichtiges Element ist in Mad Max: Fury Road die Verschmelzung von Musik in der Realität des Films und der tatsächlichen Filmmusik. Eines der Hauptwerkzeuge hierfür ist der „Musikwagen“ der in der Gruppe der Verfolger an der Jagd auf Furiosa und Max teilnimmt. An der Vorderseite des Wagens hängt ein E-Gitarrist an Seilen vor ein paar Boxentürmen hinter denen 6 Drummer auf ihren Trommeln den Takt vorgeben. Die Gruppe der Verfolger wird also ähnlich einem Motiv, im Laufe des Films mehr und mehr mit der aggressiven, antreibenden Gitarrenmusik verknüpft. So sind in vielen Szenen die Verfolger gar nicht zu sehen, sondern nur die gedämpfte Musik schafft eine beklemmende Atmosphäre.
Bei einer weiteren Szene schlägt Furiosa gegen einen Tank, um ihn vom Sand zu befreien und das Klopfen des Schraubenschlüssels gegen den Tank wird gesampelt in die Musik aufgenommen. Das Rumsen des Tanks wird zu einer aggressiven Kick-Drum und die damit angekündigte Action-Sequenz lässt auch nicht lange auf sich warten.
Gerade in Mad Max: Fury Road hat die Musik Holkenborgs einen sehr hohen Stellenwert. Für das Tempo des Films, das den Zuschauer kaum zum Luftholen kommen lässt, sorgt zum großen Teil die antreibende Musik. Ruhige Szenen stehen meist nicht lange und werden stattdessen von der aggressiven Gitarrenmusik des Verfolgertrupps jäh unterbrochen. So entsteht eine 2-stündige Verfolgungsjagd, die den Zuschauer mitreißt.
DEADPOOL
Im ein Jahr später erschienenen Deadpool verfolgt Junkie XL hingegen einen anderen Ansatz. Um die Filme vergleichen zu können, sollte man allerdings auch den Kontext der Filme miteinbeziehen. In Mad Max: Fury Road bietet das Setting der Apokalypse viel Raum für verrückte Ideen (siehe „Musikwagen“). Hier kann man experimentieren und neue Klänge formen. Währenddessen ist Deadpool eine klassische Origin-Story des Marvel Universums. Der lockere, lustige Stil der Marvel Filme soll hier aber noch verstärkt vorhanden sein, da der Protagonist Deadpool eher ein Antiheld mit großer Klappe, denn ein Superheld ist.
Zur Folge hat dies, dass im Soundtrack zunächst viele Songs enthalten sind. So beginnt der Film bereits mit einer langen Einstellung in Zeitlupe, zu der „Angel Of The Morning“ von Juice Newton ertönt. Andere Songs, wie „Shoop“ von Salt-N-Pepa oder „X Gon’ Give It To Ya“ von DMX sind ebenfalls an wichtigen Stellen des Films zu hören und erzeugen die für Marvel-Filme typische lockere Grundstimmung.
Für die Vertonung der Hauptcharakter nutzt Junkie XL, wie auch in Mad Max: Fury Road, die Leitmotiv-Technik. Deadpool, der Protagonist, bekommt einen kurzen, prägnanten Bass-Riff zugeschrieben, der sehr gut in Action-Sequenzen funktioniert. Im Laufe des Films ertönt dieses Motiv in allen möglichen Retro-Synthesizer-Klängen. Unter anderem hört man die Melodie direkt zu Beginn des Films im Synclavier-Sound, welchen Michael Jackson mit „Beat It“ berühmt machte.
Die Szenen mit dem Antagonisten Ajax sind meist unterlegt mit den Sounds modernerer Synthesizer. Hinzu kommen hin und wieder tiefe Streicher, die entfernt an das Immortan-Joe Thema aus Mad Max: Fury Road erinnern und eine bedrohliche Grundstimmung vermitteln sollen.
Allgemein entschied sich Junkie XL bei diesem Projekt für einen stark von Synthesizern geprägten Sound. Selbst die für emotionale Szenen typischen Streicher-Sounds sind weitestgehend von Synthesizer-Pads ersetzt. Im Gegensatz zu Mad Max: Fury Road, wo echte Instrumente gesampelt wurden, sind hier auch die Drum-Sounds von Synthesizern und Drum Computern gestaltet. So entsteht ein sehr individueller Klang des Films, der sich von den üblichen epischen Klängen sonstiger Superheldenfilme abhebt.
BATMAN V SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE
Dass Holkenborg aber auch zu solcher Musik in der Lage ist, beweist er in Kollaboration mit Hans Zimmer in Batman v Superman: Dawn of Justice, ebenfalls aus dem Jahr 2016. Von emotionaler Streicher-Sülze bis zu actiongeladenem Ethno-Trommeln ist hier alles vorhanden, was der aktuelle Hollywood-Klang zu bieten hat. Ursprünglich wurde Junkie XL laut Zimmer zum Film hinzugeholt, um sich um ein neues Batman-Thema und vorrangig die Action-Szenen zu kümmern. Allerdings merkt man auch in diesen stark den Einfluss von Hans Zimmer. Allgemein wird in dem Film meist auf Synthesizer-Klänge verzichtet. Stattdessen wird hauptsächlich für Orchester komponiert.
Wie in den vorherigen beiden Filmen gibt es auch hier jeweils ein Hauptthema für die drei Superhelden (Batman, Superman und Wonderwoman). Die beiden Themen von Batman und Superman haben den typischen, epischen Hans Zimmer-Klang: in den lauten Szenen mit vollem Orchester, vielen Trommeln und meist noch mit einem Chor und bei leiseren Stellen Klavier-Klänge mit gefühlvollen Streichermelodien. Einzig das Wonderwoman-Thema sticht hierbei heraus und erinnert mit seinem aggressiven Gitarrenriff und dem treibenden Rhythmus an die Musik aus Mad Max: Fury Road. Hier hört man deutlich Junkie XLs Handschrift – die Szene mit dem Auftauchen Wonderwomans gehört dank der Musik zu den Besten des Films.
ZUSAMMENFASSUNG
Junkie XL hat sich in den letzten Jahren vom Newcomer zu einer echten Größe in der Filmmusik-Branche entwickelt. Seine Herangehensweise an neue Filme und das Wissen, welches er von seiner vorherigen Karriere mitbringt, scheinen ihm zu helfen neue, interessante Wege der Vertonung zu finden.
Es bleibt abzuwarten, wie Holkenborg sich in Zukunft weiterentwickelt und welche neuen Filme er in Angriff nimmt.
©für das Bild: Dirk Kikstra, http://www.junkiexl.com/photos/