
Von Lennart Kost
Wie erschaffe ich Klangwelten in einem Film, der eine fiktionale, „unreale“ Geschichte erzählt? Wie mache ich es, dass diese Fiktion zur Realität für den Betrachtenden wird? Diese Fragen musste sich Ben Burtt stellen, als er sich an das Sound– und Character–Voice–Design für den Science–Fiction–Animationsfilm „WALL·E“ machte.
Anders als in vielen Animationsfilmen spielen in diesem nicht Menschen oder Tiere die Hauptrollen, sondern zwei Roboter. Es ist eine hohe Kunst, die Töne, die ein Mensch produziert, ob gewollt oder nicht, nachzuahmen. Doch erfordert es weitaus mehr Vorstellungskraft und Fantasie, einer Maschine das Leben zu schenken und diesem Leben Klänge zu geben.
In Schulen, Medien und Wissenschaft warnt man uns vor dem Klimawandel, der uns am nächsten liegenden reellen Bedrohung, und dem daraus resultierenden Anstieg des Meeresspiegels. Doch gleich dahinter liegt die nächste Bedrohung, die Übermüllung der Meere und der Kontinente. Diese Bedrohung wird bei ‚WALL·E’ thematisiert. Und das in Bild und Ton.
Die Anfangssequenz des Films besteht aus einer virtuellen Reise durch das Universum bis hin zur Erde, über welche die Kamera einen kleinen Rundflug startet. Wir sehen weite, hügelige Felder, die wir erst nach wenigen Augenblicken als Mülllandschaften wahrnehmen. Smog hängt über den schier endlosen Feldern und wir hören einen rauschenden, tobenden Wind. (Perfiderweise wird gerade in diesem Moment „Put On Your Sunday Clothes“ aus ‚Hello, Dolly!’ eingespielt, und genau an dieser Stelle, an der man realisiert, welche Art von Bergen man sieht, kommt die Textpassage „We’re gonna find adventure in the evening air / Girls in white in a perfumed night“. Man riecht förmlich den furchtbaren Gestank des Mülls.) Die bildliche und die klangliche Ebene des Filmes liegen nah beieinander. Gerade in Zeiten der Digitalisierung gelten Klänge als allgegenwärtig und von jedermann verwendbar. Die iLife Sound Library ist bspw. vollgestopft mit verschiedenen Wind–Sound–Effekten. In dieser kurzen Sequenz allerdings erklingt kein normaler Wind; es wird sowohl ein fernes Grollen hinzugefügt, als auch ein kräftiger Noise Floor, der laut Sound Director Ben Burtt dem Wind eine „atomare“, dreckige und giftige Note gibt.
Den hier gegebenen Sound könnte man als erweitert real bezeichnen. Der stetige Wind vermittelt einem von Anfang an das Gefühl, sich in einer postapokalyptischen Welt zu befinden. Man hört, wie die Luft vor Hitze und Trockenheit zittert und die Sonne ungehindert auf die Müllberge strahlt. „The films that I worked on so much you’re always trying to create this illusion that in a fantasy world things are real, and the style I’ve always followed ist to go out into the real world, get real sounds, and impose them into this fantasy world to convince people that these fantasy objects are credible.“ (Burtt)
WALL·E selbst bewegt sich auf kleinen Ketten, ähnlich denen eines Panzers. Laut Ben Burtt wurde auch ein solcher für die Originalaufnahme verwendet. Die Abspielgeschwindigkeit dieser Tondateien ist jedoch um einiges erhöht, sodass der fertige Sound nicht mehr nach einem 60t schweren Panzer, sondern nach einem kleinteiligen, beweglichen, aber robusten Roboter klingt. Um WALL·Es mal schnellere, mal langsamere Fahrgeschwindigkeit auch tonal umzusetzen, wurde die Panzerketten–Audiospur jeweils in der Geschwindigkeit und der Tonhöhe variiert.
Ein alter Generator und hydraulische Pressen vervollständigen das Klangbild des kleinen Roboters. Dieser klingt ungefähr so, wie man sich einen Roboter aus unserer Sicht vorstellt.
Anders EVE. Allein das geschwungene, perfekte, unschuldig–klinisch reine Design der Erdensonde lässt Rückschlüsse auf eine weit höher entwickelte Technologie zu. Der Kopf und die flachen Arme werden von Kraftfeldern an ihren Plätzen, wenige Zentimeter vom Rumpf entfernt, in der Luft schwebend, gehalten. Ihre filigranen Bewegungen in der Luft werden von einem sanften, mit einem Synthesizer erschaffenen Surren untermalt. Besonders hervorzuheben ist der Klang ihres in ihrem Arm verborgenen Lasergewehrs. Dieser ist kein anderer als der leicht modifizierte Sound der Blaster in den alten Star–Wars–Filmen, an denen Burtt als Sound Director bereits beteiligt war. Für die bahnbrechenden Toneffekte wurde Ben Burtt 1978 mit einem OSCAR geehrt.
Um die Stimmen für WALL·E, EVE und all die anderen Roboter zu erschaffen, musste erst einmal überlegt werden, wie Menschen in den verschiedenen Situationen klingen würden. Ein wunderbares Beispiel ist das erste Aufeinandertreffen der beiden Roboter auf der Erde und die erste Konversation. Die EVE–Sonde steht – scheinbar enttäuscht und frustriert – am Rande einer weiten Fläche mit mehreren verrosteten Containerschiffen und WALL·E schleicht sich pfeifend von der Seite an. Die Szene wirkt nahezu wie der obligatorische Umarmungsversuch in einem High–School–Film, nur leicht peinlich und unbeholfen.
WALL–Es Stimme hat, ganz wie es sich Ben Burtt vorgestellt hatte, einen unschuldigen Klang. Das hört man nicht nur in der gepitchten Stimme, wenn er spricht, sondern auch im Wortschatz des kleinen Müllroboters. Dieser erlernt über die Dauer des Filmes nur ein Wort, den Namen EVEs. Dies erscheint wenig, doch durch verschiedene Betonungen, andere Töne und die Animation werden dem Namen viele Bedeutungen zugesprochen, u.a. flehend, verliebt und sorgenvoll. Eine Sequenz zeigt WALL·E, wie er vergeblich versucht, seine Roboterfreundin aufzuwecken, nachdem diese durch ein autonomes Programm heruntergefahren wurde. Die Laute und Klänge des Roboters erinnern stark an Bambis „Mama“–Rufe.
Die „Ein–Wort–Lösung“ WALL·Es war nicht die erste Idee der Macher: „As you know we went through lots of experiments trying WALL·E as just motor sounds only, some that were beeps and whistles, a little bit more in the R2D2 realm.“ (Burtt)
Komponist der Filmmusik ist Thomas Newman. Der US–Amerikaner hauchte bereits ‚Findet Nemo’ aus der Disney–Pixar–Familie musikalisches Leben ein. Markenzeichen des Komponisten ist eine sehr minimalistisch gehaltene Klanggestaltung (sich repetierende Akkorde, kleine Besetzung, sphärische Streicher, die mithilfe von Synthesizern verfremdet werden und als Hintergrundprojektion des Klangteppichs dienen). Ein signifikantes Thema ist das von „Define Dancing“, welches genau zwei Mal im Film vorkommt. Die erste Stelle ist die Ankunft EVEs auf der Erde, als sie sich entfaltet und in die Lüfte steigt. WALL·E, von ihr noch unentdeckt, schaut ihr aus einem Versteck zu, wie sie akrobatisch durch die Luft gleitet. In seinem Blick sieht man tiefe Bewunderung, aber auch eine gewisse Sehnsucht nach dem Fliegen. Das zweite Mal, als das Thema auftaucht, ist an Bord des Raumschiffes, auf dem ein Teil der Menschen lebt, die EVE entsandt haben.
Bei einer Rettungsmission finden sich WALL·E und EVE im Weltall wieder. Angetrieben von einem Feuerlöscher kann der alte Roboter der Sonde durch das Weltall hinterher fliegen. Beide führen ein kurioses Ballett im Weltall vor. Und WALL E erlebt seinen ersten Kuss.
Ohne dass man die Vorgeschichte oder die Filmbeschreibung von „WALL·E“ kennt, kann man EVE als ersten Kontakt zu einer weiter fortgeschrittenen Zukunft verstehen. Bemerkbar macht sich das im Aussehen der Sonde, in den Geräuschen, die sie von sich gibt und vor allen Dingen in der Musik. Was davor noch als symphonische Filmmusik erklang, ist bei EVEs Eintreffen auf der Erde der Klang von sanften Synthesizern und elektronischen Instrumenten.
Bei der Sequenz, in der die beiden Roboter auf der Axiom, einem der Sternenschiffe der Menschen, ankommen, erklingt eine sehr hektische, elektronisch erzeugte Musik, die auf ein hohes Maß an umtriebiger Beschäftigung hinweist: alles wuselt und bewegt sich. Unzählig viele kleine Roboter sind eifrig damit beschäftigt, ihren Zweck zu erfüllen: den Menschen die Arbeit abzunehmen. Als die Menschen zum ersten Mal gezeigt werden, ist man über deren Aussehen geschockt: Füße und Muskeln haben sich in den Jahrhunderten zurückentwickelt, sie bewegen sich nun mithilfe von schwebenden Sesseln voran. In der Musik setzt ein beruhigendes, schwebendes Thema ein, bestehend aus drei wiederkehrenden Akkorden. Dieses vermittelt den Gedanken an ein unbeschwerliches, entspanntes Leben.
„And that is all that love’s about / And we’ll recall when time runs out / That it only took a moment / To be loved a whole life long“ aus „It Only Takes a Moment“. Dieser Ausschnitt aus dem eingangs erwähnten Musicalfilm ‚Hello, Dolly!’ ist maßgeblich bedeutsam für die Handlung des Films. In diesem Ausschnitt des Musicalfilmes sieht man, wie ein Paar sich die Hand reicht, um die gemeinsame Liebe zu bekunden. WALL·E findet genau jenes Film–Fragment auf der Erde und schaut es sich in Dauerschleife an. Er sieht das verliebte Paar und reicht sich selbst die Hand. Nachdem WALL·E EVE sein Zuhause gezeigt hat, schauen sie sich zusammen die Filmszene an. WALL·E versucht EVEs Hand zu greifen, doch diese resigniert. Erst auf dem Raumschiff entdeckt sie das Video durch Zufall in ihrem Datenspeicher und ihr wird bewusst, was genau WALL·E wollte. Der Film endet mit „It Only Takes a Moment“; zu sehen sind die beiden Roboter, die einander küssen und Pflanzen, die auf den Müllbergen wachsen.
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