Es ist Donnerstag und ich kauf mir Clicks

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Cloud Rap – Zwischen Dilettantismus und dem Spiegel einer neuen Generation


Von Julia Fischer


Alles begann 2009 mit dem kalifornischen Rapper Lil B und seinem Album „6 kiss“, mit dem er den Grundstein für ein neues Verständnis von Rap und besonders dessen Künstlern schuf. Lil B zeichnet die sanfte Art aus, wie sich seine irgendwie schwammigen, träumerischen Texte in die weichen, trappigen Instrumentals einschmiegen. Es wirkt wie ein Gedankenstrom, ein Rausch, der aus ihm rausfließt und seine Stimmung ganz unverstellt auffängt: authentisch, vernebelt, unangestrengt, positiv. Genauso revolutionierte dieser Rapper auch den Umgang mit seinen Veröffentlichungen: Lil B brachte seit 2009 über 50 Mixtapes und Alben heraus, die er allesamt kostenlos ins Internet stellte. Dabei wird schnell klar, wie viel Zeit sich die Rapper hierbei für ein Album nehmen können. Kein ewiges Schreiben an Texten, keine komplizierten Produktionen und erst recht nicht Herumphilosophieren über politische Gesellschaftskritik. Es sind Momentaufnahmen und genau so schnell sind sie auch produziert.

Im Cloud Rap sucht man vergeblich nach harten kriminellen Rappern, die sich in ihren Lyrics mit Gewalt und Machtdemonstration brüsten. Viel eher findet man eine Menge von Hühnerbrüsten mit blasser Haut, junge Träumer, die genießen, ganz egal was die Gesellschaft wohl von ihnen hält. Genau so wenig wird man brillante Reimketten, virtuose Rap-Techniken oder eine tiefere politische Aussage finden. Cloud Rap hat diesen Anspruch nie verfolgt, ganz im Gegenteil: Es ist ein Gegenentwurf zur verbreiteten Entwicklung im Hip-Hop und sicherlich nicht der erste dieser Art.

Wie in jedem Musikstil ist ein gemeinsamer Klang schwer zu beschreiben, was aber alle Produktionen vereint ist, wie der Name des Subgenre schon sagt, der weiche, entspannte Klang: Cloud Rap ist geprägt von sphärischen Synthieflächen, langsamen Drums mit dumpfen Bässen, Trap-Beats mit stressigen Hi-Hats, Retro-Samples und auf jeden Fall dem Comeback des Autotune. Sounds, die nicht aufheizen und zum ausrasten anregen, eher etwas für ein dunkleres Zimmer, indem man entspannt und sich von der Musik einhüllen lassen möchte. Ein wolkiger Zustand, ein High-Sein mit Selbstironie und dem simplen Genuss am Leben.

Genau diese Soundflächen findet man nun auch zu Hauf im deutschsprachigen Raum: Yung Hurn, RIN, Crack Ignaz, LGoony, Money Boy und Juicy Gay sind nur einige Namen, die man hier nennen kann. Erst zog die Wolke dieses Raps von den USA durch Yung Lean nach Schweden und schließlich weiter nach Wien und Berlin. Im Deutschen werden die Texte allerdings immer mehr ins Lächerliche und Absurde gezogen, bestehen oft nur noch aus wenigen Worten, ständigen Neologismen, Anglizismen und Lautmalereien. Keiner achtet auf ausgefeilte Versmaße und besondere Wortspiele, man macht sich locker und rappt das, was einem gerade im Kopf umherschwebt.

Verstehen muss man die Lyrics dabei nicht unbedingt, es wird bewusst im Dialekt gerappt, genuschelt und gelallt. Verstärkt werden die polarisierenden, überzeichneten Aussagen in den Lyrics noch damit, dass die Rapper ihre eigenen Texte oft selber im Hintergrund kommentieren.

Mein iPhone-Handy-Bildschirm ist gekracht (fette Scheiße)
Mein iPhone-Handy-Bildschirm ist gekracht (übel teuer)
Rufst du auf mein Handy, Bruder, kriegst du Mailbox (Huso)
Junkies tanzen auf der Straße, wenn das Jay kommt (scheiß Junkies)
Kein Highspeedinternet, ich bin gedrosselt (scheiß Vodafone)
Ich esse Butter-Chicken, Bitch, ich kann jetzt kochen (kein Aldi)
Hose übern Socken, ich geh‘ mir was coppen (zu fresh)
Zehn Prozent bei Endclothing, sie woll’n mich locken (ich werd‘ arm)
(Lyrics: RIN – Bass)

Künstler wie LGoony haben daher auch keine deutschen Vorbilder, sie orientieren sich an US-Rappern, an Trapkünstlern, bei denen eher eine generelle Stimmung transportiert werden soll, als reine Inhalte, Skills oder bedeutungsschwere Themen. Es geht um das Wie, nicht um das Was!

So wie sich die deutschen Rapper in ihren Tracks präsentieren, ist Cloud Rap eine Huldigung von Rauschzuständen. Es wird ein Leben präsentiert, in dem man nicht in die Zukunft schaut, sondern im Moment lebt und sein Dasein mit Markenklamotten [Supreme, Levis, Gucci, Prada, Nike], Drinks [Stoli, Veltiner, Secco], Liebe, Sex und natürlich vielen Drogen [Gras, Koks, E’s, LSD] versüßt. Manche nennen es Jugendkultur, andere Verweigerungshaltung und manch einer sieht in Cloud Rap den „Wunsch nach kreativer Zerstörung“.
Der Gedanke, dass die Bewegung des Cloud Rap genau so eine Rebellion ist, wie es der Punk in England vor 40 Jahren war, liegt nahe. Die drei Power Chords, die man damals für den Punk benötigte, werden heute zu simplen Synthiesounds und Beats, mit denen jeder quasi alles machen kann. Auch die Raptechnik von Cloud Rappern verlangt kein großes Können ab: abgehackt und oft lustlos, wenn die Silbenanzahl nicht hinhaut, wird das letzte Wort einfach in die Länge gezogen oder endlos wiederholt, bis die Lyrics an Dadaismus erinnern. Satzbau und Wortwahl müssen nicht stimmen und wenn ein Wort fehlt, wird einfach ein neues erfunden. Keiner will Perfektion!
In der Motivation für ihre Musik und der Sicht auf die Erwartungen, die man ihrer jungen Generation zuspricht, hört man bei Cloud Rappern zumindest eine vergleichbare fuck-you- Attitüde, die man auch bei Punkbands Ende der 70er hören konnte.

Bei aller Rebellion muss man sich aber trotzdem überlegen, ob man diese unernste Reduzierung als Kunst oder gute Musik wahrnehmen kann oder ob die Einfachheit einfach nur peinlich und langweilig ist.
Grundsätzlich kann im deutschsprachigen Cloud Rap zwischen verschiedenen Gruppen unterschieden werden. Die Glo Up Dinero Gang (Money Boy, Hustensaft Jüngling, Medikamenten Manfred, usw.) verkörpert beispielswiese viel mehr eine Marke, ein Image, als irgendwelche Werte oder Stilempfinden. Es geht darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen, egal wie. Die Methoden der Glo Up Dinero Gang sind dabei genau so peinlich, wie die des Dschungel Camps. Wenn man ihren Auftritten und Interviews zuschaut, tritt das Phänomen des Gaffer-Staus ein: Es ist ein Unfall bei dem man nicht zuschauen will, es aber trotzdem macht – ein Unfall bei dem ein zugekiffter 17-jähriger mit weißer Nase, kaum einen geraden Satz mit mehr als 3 Wörtern hinausbringt und einem erklärt, dass er Jurassic Park im Kino nicht schauen durfte, weil die Vorstellung bis 1 Uhr Nachts ging.
Das Hip-Hop-Künstler-Label Life From Earth verfolgt mit seinen Cloud Rap Künstlern wie Yung Hurn, RIN oder LGoony andere Ziele. Klar wirken die Texte einfach, hier wird aber vor allem die Natürlichkeit und Authentizität betont, die die reduzierten Hooks und spontanen Lyrics im Studio rechtfertigen. Die Songs zeigen wie man lebt, wie man fühlt und was man denkt und sind damit das Zeugnis einer gegenwärtigen Jugendkultur.

Genau wie die Entstehung der Tracks wirken auch die Videos. Manche professioneller als andere, einige sehen aus wie das iPhone-Footage einer unkontrollierten Partynacht, das man verkatert am Morgen danach entdeckt – keine Choreografie, keine starken Hintergründe, keine Handlung. Allerdings erinnert die Ästhetik immer an Rauschzustände, ob in „ok cool“ an das intensive Wahrnehmen von Farben auf LSD oder in „MHM“ an das Schwanken und doppelte Sehen, wenn man zu viel getrunken hat.
Bei all den Videos bekomme ich vor allem ein Bild nicht mehr aus dem Kopf: „Diamant“, eine Hommage an die 80er Jahre, eine schnulzige Dream-Pop Nummer zum Valentinstag. Kitschiger könnte der Song und das Bühnenbild nicht sein, ironischer aber auch nicht. Spätestens wenn Yung Hurn schmalzig in die Kamera singt: „Baby ich bin verliebt in dein Popo, Baby ich lass dich nie mehr los, no no“ und Lars Eidinger dazu, wie in seiner Rolle als Richard der 3., eine Träne aus seinen eisigen Augen drückt, lässt einen die abscheuliche Faszination nicht mehr los.

Cloud Rapper haben sich der unromantischen Liebe verschworen – der Liebe zu Drogen, Frauen, Freunden und ihrer Heimat. Egal was man von diesem Leben hält, das Zelebrieren ihres Lifestyles ist ehrlich und konsequent. Das Urteil darüber, ob dabei Kunst entsteht oder das Ganze einfach nur billig ist, sei jedem selbst überlassen.

Es ist Donnerstag und ich denke nach! Ist das swag, ist das whack, was ich mag?


Für das Foto: https://www.flickr.com/photos/politikwerft/28972879425, CC BY-SA 2.0

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