Virtueller Mord als Sport?

22364914234_9f2c2e36d9_o.jpg

Von Marek Börsig


Als „Absolute Verarmung“ bezeichnet DFB-Präsident Grindel den eSport. Was er sagt, wird von vielen mit Applaus quittiert. Allerdings geht seine Einstellung gegenüber dem digitalen Sport an der Wirklichkeit vorbei. Die Digitalisierung hat schon längst auch den Sport erfasst. Ob alte Männer dies nun begreifen oder nicht, kann den jungen Spielern letzten Endes egal sein.

Erst vor einigen Wochen sorgte der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD für breite Resonanz in der Öffentlichkeit. Mit dabei: Ein Absatz zum Thema eSport. Man wolle den „eSport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen“, steht darin. Ein wichtiger Schritt für den digitalen Sport, dem es in Deutschland immer noch an öffentlicher Anerkennung fehlt. Zu sehr ist das Bild des dicken, ungepflegten Gamers noch in den Köpfen der Menschen verankert. Anscheinend auch in dem des DFB-Präsidenten Grindel. Seit der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages macht dieser Stimmung gegen den digitalen Sport, zuletzt bei einer kleinen Talkshow des Weser-Kuriers.

In dem etwa einstündigen Interview kommt es nur kurz zum Thema eSport, aber Grindel nutzt die Zeit, um ordentlich auszuteilen. Zunächst einmal bezeichnet er ihn als „absolute Verarmung“. Für ihn habe Sport immer etwas mit direktem Kontakt zu tun und erfülle eine soziale Funktion, die darin begründet ist, dass der Sport in der Gemeinschaft ausgeübt werde. Davon abgesehen, dass Grindel hier alle Einzelsportarten unterschlägt, ist die soziale Interaktion gerade das, was erfolgreiche eSports-Titel ausmacht. Der professionelle Wettkampf in Computerspielen geht nämlich weit über die Fußballsimulation FIFA, von der Grindel hier wahrscheinlich spricht und die üblicherweise im 1 gegen 1 gespielt wird, hinaus. Denn FIFA gehört bei weitem nicht zu den erfolgreichsten kompetitiven Spielen. An der Spitze derer steht das Echtzeit-Strategiespiel League of Legends, ein sogenanntes MOBA-Game, in dem die Spieler in 5er-Teams gegeneinander antreten. Auch die erfolgreichen eSports-Titel Counter Strike: Global Offensive, Overwatch oder Dota 2 sind Teamspiele. Gerade die Kombination von gutem Teamplay und individuellem Skill machen diese Spiele im professionellen Bereich so spannend. Kommunikation und gemeinsames Training sind unabdingbar.

In der Profi-Szene geht das so weit, dass die Teams sogar in Gaming-Häusern zusammenleben. Vom Zocken kann hier nicht mehr die Rede sein. Stattdessen wird das Spielen zu einem Job, dem oftmals mehr als 8 Stunden täglich nachgegangen wird. Zum Team gehören neben einem Coach meist ein Manager, ein Mental-Trainer und mehrere Analysten, die Experten für verschiedene Bereiche des Spiels sind. Von fehlender sozialer Funktion des eSports kann also zumindest im Profibereich keine Rede sein.

Hinzu kommt, dass das professionelle Gaming mehr und mehr an Reichweite gewinnt. Vor sieben Jahren fand die Weltmeisterschaft von League of Legends noch in einer kleinen Halle im schwedischen Jönköping statt – im Oktober vergangenen Jahres wurde alleine für das Finale das große Olympiastadion in Peking gefüllt. Das gesamte Turnier sahen weltweit 80 Millionen Zuschauer und die Preisgelder für solche Events bewegen sich schon lange im zweistelligen Millionen-Bereich.

Die Amateur-Szene wächst ebenfalls. Mit bereits 2016 über 100 Millionen monatlichen Spielern dürfte League of Legends aktuell mindestens in einer Kategorie mit dem Streamingdienst Spotify sein, der etwa 160 Millionen aktive Nutzer hat. Auch hier ist soziale Interaktion notwendig. Ob im Spiel mit Freunden oder mit zufälligen Mitspielern aus der ganzen Welt: ohne Kommunikation sind die einzelnen Partien kaum zu gewinnen. Dass die Kommunikation dabei digital ist? Geschenkt.

Was dem Gaming im Amateurbereich allerdings noch fehlt, ist Struktur. Vereine, Turniere oder Ligen für Amateure, die sich kompetitiv mit anderen Spielern messen wollen, gibt es kaum. Hier eröffnet sich eine Chance für bereits bestehende Sportvereine. Vereinsstrukturen sollten um Angebote erweitert werden, die es jungen Menschen ermöglichen, Teams zu bilden und dann gemeinsam gegen andere Spieler anzutreten. So könnten auch Fußballvereine aktiv den schwindenden Mitgliederzahlen entgegenwirken und gleichzeitig würde die von Herrn Grindel gewünschte soziale Funktion des eSports gestärkt werden.

Letztendlich kann es den Spielern egal sein, ob das kompetitive Gaming von der Seite des „traditionellen“ Sports nun als Sportart angesehen wird oder nicht. Die Aussagen Reinhard Grindels sind angesichts fallender Vereinszahlen nur verständlich – nicht umsonst bezeichnet er den eSport als größten Konkurrenten des Fußballs. Allerdings ist es selten erfolgreich, sich gegen offensichtliche Entwicklungen zu sträuben. Statt den eSport von vornherein zu verteufeln, sollte sich Grindel Gedanken machen, wie er und seine Vereine ihn integrieren können. Interessanterweise tun dies viele Bundesliga-Vereine schon längst. Neben Schalke 04, das bereits ein eigenes LoL-Team hat, haben auch der VfB Stuttgart, der VfL Wolfsburg und RB Leipzig schon in den eSport investiert. Auch europäische Spitzenteams wie Manchester City, Paris Saint-Germain oder die AS Monaco weiten ihr Engagement aus. Aber auch diese Entwicklung scheint an Reinhard Grindel vorbeigegangen zu sein.


Zum Inteview mit Reinhard Grindel: https://youtu.be/YSEavC01j9k?t=42m35s

Für das Foto: https://www.flickr.com/photos/bagogames/22364914234, CC BY 2.0

Hinterlasse einen Kommentar