Helene und Justin ganz sportlich

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Von Marie Braun


04. Februar 2018. 17:30 Uhr. Minneapolis, Minnesota, USA. Das größte Einzelsportereignis der Welt beginnt – der 52. Super Bowl, das Finale der amerikanischen Profi-Football-League NFL. Die New England Patriots spielen gegen die Philadelphia Eagles. An diesem Abend wird ein packendes und bis zum Ende spannendes Spiel stattfinden, bei dem die als Außenseiter angetretenen Philadelphia Eagles zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte knapp gewinnen werden. Doch mindestens genauso wichtig wie der Sport selbst ist bei diesem Ereignis noch einiges mehr: die eigens für diese Gelegenheit produzierten Werbespots, der Münzwurf und nicht zuletzt die musikalische Inszenierung rund um das Spiel.

Vor Spielbeginn wird die Hymne „America the Beauty“ von Musicalstar Leslie Odom Jr. mit äußerst ambitonierter Hingabe performt. Anschließend krächzt die kaugummikauende und erkältete Pink herzzerreißend die amerikanische Nationalhymne (für ihre Erkältung und daraus möglicherweise resultierende stimmliche Folgen, die man dann doch nicht gehört hat, entschuldigte sie sich schon vor ihrem Auftritt in den sozialen Netzwerken) – alles ganz schön patriotisch, amerikanisch eben.

Das ganze wird nur noch getoppt von der halftime-show. Hier gibt sich Jahr für Jahr das „Who ́s who“ der englischsprachigen Popmusikszene die Klinke in die Hand. Britney Spears, U2, Paul McCartney, The Rolling Stones, Bruce Springsteen, The Who, Black Eyed Peas, Madonna, Beyoncé und Bruno Mars sind nur einige Namen der letzten 20 Jahre. Die Inszenierung kann dabei nicht groß genug sein. Lady Gaga begann ihren Auftritt im letzten Jahr auf dem Dach des Stadions und schwebte dann in das Stadion ein. Katy Perry ritt 2015 auf einer überlebensgroßen, güldenen Löwen-Attrappe ins Stadion und hatte sich als Sidekicks (!) Lenny Kravitz und die Rapperin Missy Elliot an ihre Seite gestellt.

Dagegen war Justin Timberlakes Auftritt in diesem Jahr geradezu dezent. Er begann in den Katakomben des Stadions, wo der Sänger von jubelnden Groupies und Tänzern umgeben war. Zusammen bewegte man sich dann über die Tribünen auf das Spielfeld. Justin Timberlake präsentierte ein Medley seiner größten Hits, unter anderem „Rock Your Body“, „Mirrors“ und „Can ́t stop the Feeling“, umgeben von einer ausflippenden Crowd, die den Rasen um die verschiedenen Bühnen umlagerte. Immer wieder waren Tanzchoreographien in die Performance mit eingebaut. Die Band des Sängers stand auf einer zentralen Bühne und wurde zwischenzeitlich von der etwa 300 Musikerinnen und Musiker umfassenden „University of Minnesota Marching Band“ begleitet. Emotionaler Höhepunkt der Halbzeitshow war eine Hommage an den verstorbenen Artist formally konwn as Prince, der in Minneapolis seine Heimat hatte. Alleine an einem weißen Flügel sitzend, sang Justin Timberlake den Prince-Song „I would die 4 U“ im Duett mit einem projezierten Hologramm des verstorbenen Sängers. Zum Ende der Performance wurde die Stimmung wieder ausgelassener, als Justin Timberlake aus dem Stadion raustanzte und hier und da noch ein Selfie machte.

Doch ist diese unglaublich aufwendige Inszenierung von populärer Musik bei sportlichen Großereignissen ein rein amerikanisches Phänomen? Mitnichten.

Auch in Deutschland findet sich in den letzten Jahren vermehrt Popmusik bei Sportereignissen. Im vergangenen Jahr trat in der Halbzeitpause des DFB-Pokalfinales im Berliner Olympiastadion Helene Fischer auf, quasi als ein deutsches Pendant zur amerikanischen halftime-show beim Super-Bowl. Doch ihr Auftritt stieß auf keinerlei Zustimmung beim deutschen Publikum, denn die Sängerin wurde von den Fußballfans im Stadion so laut ausgebuht, dass die Regie der Live-Übertragung im Fernsehen angeblich die Außenmikrofone leiser stellte. Beim diesjährigen Pokalfinale gab es, wohl als Konsequenz daraus, keine Halbzeit-Performance.

Doch auch ohne Live-Auftritte bei bestimmten Ereignissen gibt es noch einiges an Pop-Musik in der deutschen Sportlandschaft. Kein Sportereignis kann mehr ohne einen eigenen Song über die Bühne gehen, der dann im Radio rauf und runter läuft, die Berichterstattung begleitet, und die Zusammenfassung der besten Szenen unterlegen darf. Und das gilt beiweitem nicht nur für König Fußball, sondern auch für andere Sportarten und -Ereignisse, wie die Übertragungen von Olympischen Spielen. Wobei es bei Fußball-Ereignissen dann meistens nicht nur einen Song, sondern gleich eine Vielzahl von Songs gibt. So war bei der WM 2014 in Brasilien „We Are One (Ole Ola)“ von Pitbull feat. Jennifer Lopez & Claudia Leitte „The Official 2014 World Cup Song“. Ähnlich oft gespielt wurden aber auch „Dare (La La La)“ von Shakira und „Todo Mundo“ von Monobloco & Gaby Amarantos (das von Coca-Cola als Werbesong genutzt wurde). In Deutschland war Andreas Bouranis „Auf uns“ vermutlich noch beliebter. Man kann nur erahnen, was dieses Jahr zur WM so alles auf einen zu kommt…

Doch was soll das alles? Warum wird Musik bei Sportereignissen immer aufwendiger inszeniert? Geht es hier etwa um die Musik als Kunst, deren Wert bei einem Sportereignis ebenfalls noch gefeiert wird?
Nein. Es geht hierbei nur um zwei Aspekte: Kommerz und die Emotionen.

Dass bei Großereignissen wie dem Super-Bowl oder der Fußball-WM ein Millionenpublikum vor dem Fernseher sitzt, muss natürlich bestmöglich ausgewertet werden. Das zeigen allein die umfassenden Werbeblöcke bei Fernsehübertragungen, Bandenwerbung und Sponsoren (die Trikotwerbung bei den deutschen Bundesligavereinen lassen sich die Unternehmen zwischen 2,9 und 45 Millionen Euro kosten). Oder die Geldsummen, die für die Übertragungsrechte von den Fernsehsendern bezahlt werden: Insgesamt sind die Ausgaben für Sportübertragungsrechte der ARD im Zeitraum von 2017 bis 2020 wohl größer als 1,1 Milliarden Euro, darunter über 200 Millionen für die diesjährige Fußball-WM.
Warum nicht auch noch einen Musiker mit ins Spiel bringen, der seinen neuesten Song und seine aktuelle Platte bewerben kann? So ist es sicher kein Zufall, dass Justin Timberlakes neuestes Album „Man of the Woods“ fast zeitgleich mit dem Super-Bowl auf den Markt kam und auch sein Outfit, mit Halstuch und einem mit Hirschen verzierten Hemd, an das Album angelehnt war. Und es verwundert auch nicht, dass Sänger wie beispielsweise Andreas Bourani oder Max Giesinger rund um Fußball-Weltmeisterschaften Songs herausbringen, die in ihren Texten Gemeinschaft und das gemeinschaftliche Feiern anpreisen und eine ausgelassene Stimmung vermitteln.

Womit wir beim zweiten Aspekt wären, den Emotionen. Musik (übrigens: ganz egal aus welcher Epoche, Gattung und Stilistik) regt beim Zuhörer Emotionen an.
Auch wenn die genauen Auswirkungen von Musik auf die Emotionen aufgrund ihrer Komplexität noch nicht annähernd erforscht sind, wurden in vielen empirischen Studien schon einzelne Aspekte dieses Feldes untersucht. Ruhige und genuin als „traurig“ beschriebene Musik lässt die Zuhörer tatsächlich weniger traurig als nostalgisch werden und in die eigenen Erinnerungen eintauchen. Gezielt eingesetzte Musik im Einzelhandel kann unterbewusst das Kaufverhalten von Personen beeinflussen (und das gilt nicht nur für Musik, hierfür reichen schon einzelne Geräusche. Der Klang von bruzzelndem Fleisch in der entsprechenden Supermarktabteilung verführt beispielsweise zum Kauf der tierischen Lebensmittel). Filmmusik ist ganz klar darauf ausgerichtet, die visuelle Sprache der Bilder auf der auditiven Ebene zu unterstützen – ob bei der romantischen Liebesszene, die mit zarten Melodien unterstützt wird oder bei der Horrorszene, die mit schrillen und dissonanten Klängen unterlegt ist. Bei sportlichen Aktivitäten kann Musik, die als schön empfunden wird, oder Musik im entsprechenden Tempo die Leistung steigern, da sie das Wohlbefinden der Sport treibenden Person fördert und gleichzeitig von der körperlichen Anstrengung ablenkt. Und Menschen aus indigenen Volksgruppen, die noch nie mit westlicher Musik in Kontakt gekommen sind, bewerten diese Musik im Bezug auf deren vermittelte Stimmung ähnlich wie Menschen westlicher Kulturen, auch wenn die detaillierte Wahrnehmung in unterschiedlichen Kulturkreisen wohl differiert.
All diese Beispiele zeigen, dass Musik und Emotionen auf eine vielfältige, komplizierte und unterbewusste Weise miteinander verwoben sind. Warum das so ist, darüber ist sich die Wissenschaft uneins, jedoch wird dieses Wissen vielfältig genutzt. Die Emotionen bei Sport-Ereignissen durch die richtigen Songs zur richtigen Zeit zu steuern, ist Ziel der Sender und Radio-Stationen. Die Musik verstärkt idealerweise die Emotionen, die der gemeinschaftlich zelebrierte Sport in den Zuschauern und Zuhörern auslöst, beispielsweise ein Gemeinschaftsgefühl, Freude, Stolz oder Wut. Besonders augenfällig wird das, wenn die wichtigsten und emotionalsten Szenen eines Ereignisses in einer Collage zu hören oder zu sehen sind, unterlegt mit dem jeweiligen Song.

Ob diese Kommerzialisierung und Emotionalisierung von Musik in der Sportwelt in den nächsten Jahren wohl noch zunimmt? In Deutschland wahrscheinlich nicht, denn die Übertragung von Sportereignissen im frei zugänglichen Fernsehen wird immer seltener werden, da vermehrt Pay-TV-Sender wie Sky oder DAZN die Übertragungsrechte für die Ereignisse erwerben. Und das Publikum, das für solche Angebote zahlt, findet vermutlich wenig Gefallen an einer musikalischen Inszenierung in der Halbzeitpause, sondern will Statistiken und Expertenmeinungen rund um das eigentliche sportliche Geschehen sehen.

Als durchschnittlicher Sportfan, der für die Sportübertragung nicht mehr zahlen will als die GEZ-Gebühr beobachte ich diese Verschiebung in Richtung Pay-TV nicht sehr begeistert, doch als Musikliebhaber muss ich feststellen, dass ich das sogar begrüße.
Denn eines bleibt bei allem Kommerz und allen Emotionen ganz klar auf der Strecke: die Kunst. Die Musik verkommt zu einem Instrument, das die Emotionen der Zuschauer möglichst zugunsten der Medieninteressen ansprechen soll und zum Konsum verführen soll. Doch die Aussage der Musik und ihr Eigenwert als Kunst bekommen wenig bis gar keinen Platz in dieser Rechnung. Kunst will zum Nach-, Mit- und Weiterdenken anregen, will einen ihr eigenen Inhalt vermitteln, will den Zuhörer anrühren oder auch nur zum Genießen einladen. Auf jeden Fall will Musik immer mehr sein, als nur ein Unterhaltungsmedium für die Halbzeitpause und die Stimmungsmache eines gepflegten Fußballabends.


 

Für das Foto: https://www.flickr.com/photos/number7cloud/26245751098, CC BY-SA 2.0

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