
Ein Beitrag von Marek Börsig.
Am 18. Juni veröffentlichte YouTube sein überarbeitetes Bezahlprogramm YouTube Premium, das Nutzern Zugriff auf Original-Produktionen und weitere Vorteile bieten soll. Damit will Google nun wohl auch im Bereich Streaming Amazon und Netflix die Stirn bieten. Aber brauchen wir noch einen weiteren Streamingdienst? Und passt das Bezahlen überhaupt zum Konzept „YouTube“?
Nach den Misserfolgen der Premium-Vorgänger „Music Key“ und „YouTube Red“ hat YouTube sein Bezahlprogramm erneuert und im Juni das neue Konzept „YouTube Premium“ vorgestellt. Werbefreier Content ist nun nicht mehr der einzige Anreiz, der Nutzern das Bezahl-Angebot schmackhaft machen soll, sondern neben Original-Content wird auch mit der lange ersehnten Offline-Wiedergabe geworben. Gemeinsam mit den alten Vorteilen von „YouTube Red“ soll also scheinbar ein Mittelweg zwischen Musik-Streaming und Video-Streaming gefunden werden. Damit macht Google nicht nur Amazon und Netflix, sondern auch Spotify und Apple- Music Konkurrenz. Kosten soll das alles 12€ monatlich, was hinsichtlich der Vorteile ein stattlicher Preis ist. Denn tatsächlich weist YouTubes Konzept für seine Premium-Nutzer noch einige Schwächen auf.
Ein großes Problem, welches YouTube bereits seit der Gründung beschäftigt, ist das Verwenden von AdBlock. Wenn eine Plattform sich fast ausschließlich von Werbeeinnahmen finanziert, ist es natürlich problematisch, wenn große Teile der Nutzer keine Werbung empfangen. Auch wenn laut offiziellen Zahlen lediglich etwa 30% der Viewer entsprechende Software installiert haben, sind diese Werte nur die halbe Wahrheit. Denn die Intensiv-Nutzer, die einen Großteil der Views ausmachen und auf die das Premium-Angebot zugeschnitten ist, nutzen mehrheitlich AdBlock. Nicht ohne Grund zeigen Einnahme-Statistiken von Creatorn, dass manchen Kanälen stellenweise über 80% der Video-Einnahmen verloren gehen, weil ihre Viewer mit AdBlock schauen.
Zunächst reagieren darauf natürlich die YouTuber selbst: Als Reaktion auf die Verbreitung von AdBlock, wird versucht, die wenigen Viewer ohne solch eine Software anzuziehen und diese auszunutzen. Die magische 10-Minuten-Marke (ab der die Werbeschaltung selbst kontrolliert werden kann) wird zur Not mit Blackscreen erreicht, damit in diesen 10 Minuten dann auch fünf Mal Werbung geschaltet werden kann. Dazu kommt kaum zu ertragender „Clickbait“ in Form von roten Pfeilen und Kreisen, reißerischen Titeln und verpixelten Bildern. Dass User solche Videoproduzenten nicht auch noch durch das Schauen ihrer Werbung unterstützen wollen und deshalb AdBlock installieren, ist verständlich.
Ein weiteres Mittel zur Umgehung des AdBlocks sind Product-Placements der Creator, also ganze Videos die einem gesponserten Thema gewidmet sind. Diese können mit dem zusätzlichen Geld aufwändig produziert sein und dadurch einen Mehrwert für den Viewer bieten, aber natürlich ist auch das krasse Gegenteil möglich.
Auch die Plattform selbst reagiert auf die Verbreitung des AdBlocks und das Premium-Angebot ist ein weiterer Versuch, das Geschäft YouTube rentabler zu machen. „Broadcast Yourself“ heißt der Leitspruch, den sich die Plattform früh gegeben hat und er impliziert genau das, was YouTube auch heute noch ausmacht: im Zentrum stehen nicht qualitativ hochwertige Inhalte, sondern die Personen, die diese vermitteln. Damit ist das YouTube, welches zumindest in Deutschland eine Vielzahl der Clicks generiert, eine Selbstdarstellungsplattform, wie jeder andere Socialmedia-Riese auch. Nicht ohne Grund haben Influencer, die auf YouTube groß wurden, wie Gronkh, DagiBee oder BibisBeautyPalace auch auf Instagram und Twitter Millionen Follower. Es geht offensichtlich um ihre Persönlichkeit und nicht um ihre Videos. Das bringt YouTube in eine schwierige Position: Wie bringt man Zuschauer dazu, für Content zu zahlen, der nicht unbedingt hochwertig produziert ist?
Die Plattform scheint darauf eine Antwort gefunden zu haben: die Bindung zwischen Influencer und Fan wird mehr in den Fokus gerückt und genau darüber sollen Kunden dazu bewegt werden, Geld in die Hand zu nehmen. Im Zentrum des Premium-Angebots stehen deshalb nicht mehr die werbefreie Wiedergabe oder das Musik-Streaming, sondern Eigenproduktionen, die in Kooperation mit erfolgreichen Influencern produziert werden.
Die Unterstützungsbereitschaft der Fans für ihre Idole ist nämlich nicht von der Hand zu weisen. Sie beginnt damit, dass bei gewissen Kanälen der AdBlock ausgeschalten wird und geht über das Kaufen von Merchandise-Artikeln bis hin zur monatlichen finanziellen Unterstützung auf Seiten wie Patreon. Verstärkt wird diese Bereitschaft durch die enge Bindung zwischen den Fans und ihrem Idol, welche über alle möglichen Socialmedia-Kanäle gepflegt und bei Fantreffen auf die Spitze getrieben wird. Genau diese Bereitschaft will sich YouTube nun mit seinem neuen Premium-Konzept zu Nutze machen.
Dafür fährt YouTube zwei Strategien: die erste ist eine neue Funktion, die parallel zu YouTube- Premium eingeführt wurde. Für 5€ pro Monat kann man bestimmte Kanäle unterstützen und erhält dann Vorteile, für die der jeweilige Kanalbetreiber selbst verantwortlich ist. Diese Vorteile sind sehr unterschiedlich und können von exklusiven Emojis, über früheren Video- Zugriff bis hin zu exklusiven Livestreams, Shows und Podcasts gehen. Damit übernimmt YouTube exakt das Konzept der Livestreaming-Plattform Twitch (Amazon), die ihre individuelle „Subscription“ schon lange eingeführt hat. Zusätzlich macht diese Funktion für die YouTuber Websites wie Patreon überflüssig und das Geld, welches sonst über andere Plattformen an die Video-Produzenten floss, wird nun wieder über YouTube generiert. Dass YouTube dadurch Anteile der Beträge erhält und weitere Nutzerdaten sammeln kann, ist ebenfalls klar.
Die zweite, bereits genannte Strategie sind die Original-Produktionen mit ausgesuchten YouTubern. Geht man die Liste dieser Creator durch, wird schnell deutlich, dass vor allem reichweitenstarke, repräsentative Kanäle für diese Projekte ausgewählt wurden und sich auch die jeweiligen Serien nach dem Erfolgskonzept des dazugehörigen Kanals richten. Für das deutschsprachige Publikum ließ YouTube Serien mit „LeFloid“, „BullshitTV“ und Phil Laude produzieren. Alle drei sind Urgesteine der deutschen Szene und bedienen unterschiedliche Genres.
Von und mit dem Netz-Nachrichten-YouTuber „LeFloid“ wurde die Dokuserie „LeFloid VS The World“ gedreht. Überraschenderweise ist diese aber nicht auf Deutsch verfügbar, sondern wurde auf Englisch produziert. Der Grund hierfür ist schnell gefunden, wenn man den Produktionsaufwand der Serie erkennt – es wird klar, dass man solch einen Aufwand nicht nur für das vergleichsweise kleine, deutschsprachige Publikum betreiben will. Inhaltlich ist diese Serie stark an Netflix-Dokumentationen orientiert. Entsprechend plakativ und gespickt mit Suggestivfragen sind die Anmoderationen, Teaser und Trailer. Die einzelnen Folgen der ersten Staffel widmen sich großen Themen wie Geld, Musik, Arbeit, Glaube und Liebe.
„Bullsprit“ heißt die Comedy-Serie, die YouTube mit dem Trio hinter dem Kanal „BullshitTV“ produzierte. Darin geht es um drei Freunde, die gemeinsam eine vererbte Tankstelle wieder in Schuss bringen wollen. Neben den drei Jungs des Kanals sind in dem Format auch professionelle Schauspieler wie Andrea Sawatzki, Lore Richter und Oliver Korittke zu sehen. Trotzdem behält die Serie ihren YouTube-Charakter, was vor allem an ihrem Humor und der Handlung liegt.
Die letzte dieser drei deutschen YouTube-Originals ist „Neuland“ rund um den ehemaligen Y- Titty Frontmann Phil Laude. Die Produktion ist eine Comedy-Show im Stil von „Luke! Die Woche und ich“ oder der „Late Night Berlin“ um deren Produktion zusätzlich noch eine seichte Story gescriptet wurde. Dieses Experiment missglückt, denn weder die Story noch die Show schaffen es, wirklich unterhaltsam zu sein.
Inhaltlich geht es in der Geschichte um die Show und Phil Laude selbst, der seinen Moderatorenjob an David Hasselhoff verlieren soll. An der kurzen Screentime und den wenigen Einsätzen von Hasselhoff wird deutlich, dass dieser nur für die Öffentlichkeitswirksamkeit des Projekts engagiert wurde und rein inhaltlich nicht wirklich zur Qualität der Produktion beiträgt. Dazu kommt, dass auch der Showteil der Serie eher peinlich als lustig ist. Der Grund hierfür ist neben dem fehlenden Moderationstalent von Phil Laude auch der typische gewollt jugendliche Humor („Heinz, was macht der Swag?“). Gemeinsam mit den eingespielten YouTube-Videos von Phil Laude und den Auftritten der zumindest einigermaßen prominenten Gäste wird die Show zu einem willkürlich zusammengestückelten Programm.
Allgemein lässt sich sagen, dass die Qualität der YouTube-Originals nicht vergleichbar ist mit Produktionen von Netflix und Amazon Prime. Dies liegt ganz einfach daran, dass die Serien von semiprofessionellen YouTubern geschrieben und gespielt werden. Tatsächlich ist der Vergleich YouTube – Netflix/Amazon auch gar nicht gewollt. Der Chef des Premium- Programms in Europa, Afrika und Asien, Luke Hyams, bezeichnet diesen sogar als unfair. YouTube-Premium biete noch eine Reihe weiterer Vorteile, die Netflix und Amazon so nicht im Angebot hätten. Tatsächlich spielen diese aber eine sehr untergeordnete Rolle, da die werbefreie Nutzung sowieso durch AdBlock gegeben ist und YouTube bisher auch gut ohne das offline-Streaming auskam. Zusätzlich ist offline-Streaming auch bei den Konkurrenten im Angebot inbegriffen. Man kann deshalb argumentieren, dass sich YouTube bei gleichem oder sogar teurerem Preis früher oder später eben doch mit seinen Streaming-Konkurrenten messen lassen muss. Ob sich das Konzept YouTubes gegen diese etablierte Konkurrenz durchsetzen kann, ist fraglich, sind die Vorteile der Premium-Funktion doch überschaubar.
Trotz allem ist die Vorgehensweise YouTubes nachvollziehbar. Im Mittelpunkt stehen nicht mehr irgendwelche Funktionen, die sowieso überflüssig sind, sondern die Bindung zwischen den Fans und ihren Idolen. Es ist grundsätzlich völlig in Ordnung den Zuschauern eine Möglichkeit zu bieten, ihre Lieblingskanäle individuell zu unterstützen. Allerdings muss YouTube aufpassen, dass sie damit nicht moralisch fragwürdigen Kanälen eine weitere Option zur Ausnutzung ihres minderjährigen Publikums bieten. Sobald nämlich 14-jährige ihr monatliches Taschengeld für die Unterstützung von BibisBeautyPalace ausgeben und dadurch exklusive Songs wie „How it is (wap bap…)“ erhalten, ist diese Methode mehr als fragwürdig.
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