„Music will lose its soul“

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„We are in a golden age of music. There will be a time when technology becomes so advanced that we’ll rely on it to make music rather than raw talent…and music will lose its soul.“

Ob dieses Zitat wirklich von Freddie Mercury stammt, wie es überall im Internet behauptet wird, ist zwar höchst umstritten. Aber es ist bekannt, dass der Queen-Frontmann keine Gesangsausbildung genossen hat. Insofern könnte man ihm wohl unterstellen, dass er den Wert des „raw talent“ ähnlich hoch schätzte – zumindest für seine persönliche musikalische Laufbahn – wie es das Zitat suggeriert. Und was die Seele der Musik angeht, da reicht es schon, in einen beliebigen Queen Song nur reinzuhören. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mercury sich völlig verausgabt und nichts an Kreativität und vor allem „Musikalität“ verloren gehen lässt, ist doch recht hoch. Jeder, der seine Stimme hört, kann das spüren. Das leidenschaftliche, empathische, wenn man so will, menschliche Musikmachen, das ist es wahrscheinlich, was der Autor des Zitats bewahren will. Und was er fürchtet, an die „Technologie“ zu verlieren – was soll das eigentlich bedeuten?

Die „golden age of music“, von der die Rede ist, die Beatles, Bob Dylan, David Bowie, die Rolling Stones, Led Zeppelin, und so weiter und so fort – Spreche ich meine Eltern darauf an, seufzen sie nur: „Das war noch gute Musik.“ Ob die Menschen, die diesen Satz äußern, tatsächlich diese Ansicht vertreten oder sich nur möglichst ungünstig ausdrücken, ist fraglich. Denn die logische Konsequenz ist ja, dass seither keine gute Musik mehr gemacht wurde. Und vermutlich verwechseln die, die diesen Satz auch so meinen, einfach nur Qualität mit Geschmack. Dass in den letzten Jahrzehnten Unmengen an professionell produzierter Musik entstanden ist, von Künstlern, die ihr Handwerk beherrschen, mitreißende Live-Shows gestalten können und die Popkultur ihrer Fanbase genau kennen, kann man wohl nicht bestreiten. Sängerinnen wie Katy Perry, Lady Gaga, Beyoncé, und wer auch immer mit aufreizenden Bewegungen und dem Fokus auf gewissen Körperpartien der Aufmerksamkeitsquote etwas nach oben verhilft, könnten mit ihren Publicity-Strategien auch nicht viel anfangen, wenn sie nicht daneben noch gute Sängerinnen wären. Das überhört man zwar mal leicht, aber ohne diese Voraussetzung hätte sie schlichtweg niemand engagiert.

Also: hinter der Popmusik unserer Generation stecken gute Musiker. Und gute Produzenten, gute Ghostwriter, gute PR-Manager und so weiter und so fort. Welcher zufällige Popsong gerade auf Nummer eins der Charts steht, ist natürlich „gut gemacht“, aber genau das ist wahrscheinlich für manche ein Störfaktor. Es klingt eben auch vieles „gemacht“, im Gegensatz zum puristischen, rohen Sechzigerjahre-Geschrubbe, ganz ohne Autotune. Und natürlich ist es verständlich, dass man das eine dem anderen vorzieht – Geschmack eben. Es ist übrigens auch völlig in Ordnung, sich im Jahr 2018 nicht für Trap, Cloud Rap und LoFi-Beats zu interessieren, wenn einem mehr daran liegt, sich nostalgisch in Musik „besserer“ Zeiten zu wälzen, einfach weil es gut tut. Oder das eine Lieblingsalbum der einen Lieblingsband immer wieder zu hören, weil es vertraut ist, weil es Teil von einem selbst geworden ist und man sich beim Hören ein bisschen wie zu Hause fühlt. Dass Musik überhaupt solche Gefühle auslösen kann, ist ein Wunder, das man nicht links liegen lassen muss, nur um der Innovation nichts schuldig zu sein; oder nur, um zu beweisen, dass man offen für Neues ist.

Doch es gibt einen Unterschied zwischen dem Nichthören einer Musik, weil sie nicht gefällt, und ihr aus diesem Nichtgefallen heraus einen Vorwurf zu machen. Denkt man wieder an den Klischee-Satz „Das war noch gute Musik“ – nur mal als Gedankenspiel, was wäre denn dieser Ansicht nach heutzutage „gute Musik“? Sollte man den genau gleichen Stil, den gleichen Sound, die gleichen Stimmen mit den gleichen Texten ewig weiterführen? Das würde ja schon allein deswegen nicht funktionieren, weil sich auch die Künstler der „golden age of music“ selbst auf ihrem Weg weiterentwickelt haben. Natürlich kann man von Personalstilen reden, aber eine gewisse persönliche Entwicklung geschieht doch auch im Sinne der Kreativität und der tausenden kleinen Wechselspiele der Popkultur einer Generation. Überhaupt wird die Rolle des gesellschaftlichen Diskurses in der Musik (in jeder Musik) wahrscheinlich von vielen maßlos unterschätzt. Dabei schöpfen doch die meisten Künstler ihre Ideen aus dem, was sie unmittelbar umgibt, aus ihrer Lebenswelt, ihren nächsten und weniger näheren Mitmenschen. Jedenfalls gingen auch im letzten Jahrhundert die meisten Musiker „mit ihrer Zeit“, und warum sollte man diese Einstellung nicht beibehalten?

Wenn man sich bei David Bowie oder den Beatles nostalgisch fühlt, vergisst man eben leicht, dass diese Musik mal Spiegel der Gegenwart war, oder sogar noch eher zukunftsweisend. Jede Musik hat ihren Ursprung in fremden Einflüssen und wird selbst Einfluss für etwas Neues. Das nennt man sozusagen Innovation. Und gerade in der Popmusik der letzten paar Jahrzehnte war das nützlichste Instrument der Innovation – um mal wieder zum Zitat des Beginns zurückzukommen – die Technologie. Das fängt irgendwo um das Grammophon herum an und hört bei künstlichen Intelligenzen wahrscheinlich noch lange nicht auf. Die Entwicklungen dieses Fortschritts und der Digitalisierung und deren Einfluss auf die Künste sind enorm. Ob enorm gut oder enorm schlecht, das hängt überhaupt nicht davon ab, wie „advanced“ die „technology“ ist, sondern allein davon, was wir daraus machen. Wie gesagt, die Technologie ist nur ein Instrument, das wir zum Musikmachen benutzen können, das uns sogar sehr hilfreich dabei sein kann, neue Klangwelten, Formate und Diskurse zu entdecken. Die Möglichkeiten: nahezu endlos. Aber die Möglichkeit, völlig daran zu scheitern gibt es daneben natürlich auch. Ein Instrument kann noch so tadellos gebaut sein; setzt man jemanden darauf an, der es nicht beherrscht, kann natürlich nichts Anhörbares dabei herauskommen. Und so verhält es sich auch mit Cubase und Co. Jeder Hobbymusiker kann sich zu Hause in seinem Kämmerchen mit altbekannten 8-Bit-Sounds passable Beats zusammenbauen. Aber es muss ja auch noch irgendetwas geben, das die Hobbymusiker in ihrem Kämmerchen sitzen und Profi-Musiker dagegen groß rauskommen lässt. Gewagte These: Vermutlich könnte es ja möglich sein, dass es doch der Mensch ist, der die Musik macht, und nicht das Programm, in dem er sie schreibt, so hoch entwickelt es auch sein mag. Die Technologie kommt dem Menschen schlichtweg entgegen, bei einem Prozess, der sich nicht so sehr von Freddie Mercurys Songwriting unterscheidet: Wahrnehmen, was um einen herum geschieht, was es mit einem selbst macht, und das mit Klang nachzeichnen. Und im 21. Jahrhundert klingt das dann eben wie ein Dubstep-Track von Skrillex oder ein Four-Chord-Song von Ed Sheeran oder eine „Lachs Anthem“ von Yung Hurn. Wer damit nichts anfangen kann, hat vielleicht noch nicht verstanden, was die Generation, die diese Musik indirekt erschafft, zu sagen hat. Das muss man ja auch nicht. Dabei gibt so unendlich viele Genres und Stile, die so viele Nieschen-, Mainstream- und was-auch-immer-dazwischen-liegt-Lifestyles auf unterschiedlichste Weise einfangen. Das ist ja auch den Nostalgikern bekannt; Text und Musik bewegen sich überall zwischen Stumpfheit und Tiefgang, Rebellion und Unsicherheit, grenzenloser Energie und Stillstehen, Liebe und Hass. Alles in Allem klingt das doch ziemlich menschlich.


Ein Beitrag von Caterina Szigeth.

© für das rechtefreie Bild: Mike Bird

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