Harry und Janni oder: Amerika, Deutschland und die Late-Night-Show

Ein Genre stirbt aus: Mit dem Ende der Harald Schmidt Show nach 19 Jahren ist die klassische Late-Night-Show aus dem deutschen Fernsehen verschwunden. Doch wird man sie überhaupt vermissen? Und was kommt nach ihr?


von Sebastian Herold


So richtig mitbekommen hat man es ja nicht mehr. Beinahe verschanzt hatte sich Harald Schmidt zuletzt beim Pay-TV-Sender Sky. So wurde die endgültige Absetzung seiner Show (Urteilsspruch Dezember 2013, Vollstreckung März 2014) zwar durchaus medial aufgegriffen und reflektiert – ein gesellschaftliches Ereignis war sie aber nicht mehr im Geringsten. Schließlich konnten langjährige Fans auch durchaus ein wenig beleidigt darüber sein, dass ihr liebster Zyniker seinen Show-Lebensabend beim Bezahlfernsehen verbringt.

Doch ohnehin hat sich das Genre Late-Night-Show in Deutschland nicht so recht durchsetzen können. Was, außer der Schmidt-Show, wurde auch sonst je in der breiteren Öffentlichkeit als eine solche wahrgenommen?

Nun gut, TV Total bringt einige Elemente der klassischen Late Night mit: späte Sendezeit, anfängliche Stand-up-Gags, Schreibtisch, Gäste, Band, Musik, lustige Einspieler. Doch Stefan Raabs nunmehr seit 15 Jahren laufende Sendung war nie als wirkliche Late-Night-Show konzipiert und zudem vielmehr auf ein eher jugendliches Publikum zugeschnitten. Ebenso Circus Halligalli. (Bei Schmidt saßen in den besten Jahren Vertreter nahezu aller Generationen im Publikum!)

Insgesamt sieht es in Deutschland mit der „echten“ Late Night also recht mau aus.

In den Vereinigten Staaten ist alles ganz anders: Late Night lebt, nach wie vor. Ja, die ältere Generation dankt so langsam ab. David Letterman, der Late-Night-Veteran schlechthin und Harald Schmidts ultimative Inspiration, setzt sich 2015 zur Ruhe; Jay Leno tat es bereits Anfang 2014.

Doch brennt das alte Feuer zur späten Uhrzeit in der amerikanischen TV-Landschaft noch immer unbeirrt weiter. Conan O’Brien, Jimmy Kimmel, Jimmy Fallon heißen die Großen ihrer Zunft. Ihre Inhalte schaffen es im Zuge der Video-on-Demandisierung auch nach Deutschland, werden in Insiderkreisen manchmal Kult. Bei YouTube haben ihre Kanäle bis zu 5 Millionen Abonnenten.

Die Gründe für die ungebrochene Beliebtheit der Late Night sind förmlich spürbar, wenn man sich diese Videos anschaut: Die Moderatoren sind lockerer, das Timing stimmiger, die Gäste schillernder, das Publikum enthusiastischer. In den USA ist eben doch alles irgendwie größer, spektakulärer.

Aber muss, ja, kann es die Late Night in ihrer klassischen Form in Deutschland überhaupt weiterhin geben? Sollte man ihr nachtrauern? Fest steht: Einen neuen Harald Schmidt braucht niemand. Der wäre anachronistisch und langweilig. Weil Schmidt in der deutschen Fernsehlandschaft so einzigartig war, kann es auf Dauer schlichtweg nicht funktionieren, die Zutaten seiner Show zu nehmen und daraus mehr oder weniger die gleiche, nur eben mit einem neuen Gesicht zu machen. Anke Engelke, Oliver Pocher und Niels Ruf haben das versucht. Und nicht lang durchgehalten.

Was also kann man tun? Das, was längst getan wird, nur unter Ausschluss eines beträchtlichen Teils der Öffentlichkeit: neue Formen entdecken. Alte Rezepte abwandeln. Etwa so wie es Jan Böhmermann mit seiner wöchentlichen Sendung tut.

Böhmermann, der notorische Schnellsprecher und -denker, ist seit Oktober 2013 mit seinem Neo Magazin auf ZDFneo auf Sendung. Damit ist er donnerstagabends zu sehen, und zwar betont zuerst ab 20:15 Uhr im „Zweiten Deutschen Internet“, also in der ZDF-Mediathek, und erst zwei Stunden später im öffentlich-rechtlichen Spartenkanal.

Das Neo Magazin ist wohl die erste Late-Night-Show für die sogenannten Digital Natives. Die Sendung entstand auf den ersten großen Wellen, die die Enthüllungen von Edward Snowden schlugen. Das wird anhand mehrerer Aktionen und Rubriken deutlich, wie etwa „Prism is a Dancer“, in der die Facebook-Profile der Zuschauer ausgespäht werden, oder dem wöchentlich wechselnden Twitter-Hashtag der Sendung, „um die Geheimdienste zu verwirren“.

Ansonsten präsentiert die Sendung auch mancherlei Altes in neuem Gewand: Das Studio mit sechseckigem Schreibtisch ist gräulich futuristisch gestaltet und überall mit atmosphärisch veränderbaren Bildschirmen ausgestattet; die kurzen Einspieler zur Vorstellung der Gäste gleichen denen aus Böhmermanns vorheriger Talksendung Roche & Böhmermann, erreichen aber nicht ganz deren Qualität.

Die beiden größten, auch medial aufgenommenen, Coups der Sendung: ein von Böhmermann und seinem Team aufgenommenes und auf YouTube gestelltes Video einer angeblichen chinesischen Kopie der TV Total-Rubrik „Blamieren oder Kassieren“, das es prompt in Raabs Sendung schaffte. Und erst kürzlich die angebliche versehentliche Veröffentlichung der privaten Handynummer Böhmermanns bei Twitter, die tatsächlich die Nummer eines eigens angelegten Show-Handys war. Die abstrusen Sprachnachrichten auf dem Anrufbeantworter dürften noch für einiges Material in der Sendung sorgen.

Samstagabends wird man Jan Böhmermann wohl nie im Hauptprogramm irgendeines Senders entdecken, auch wenn er spätestens seit 2012 langsam aber sicher erfolgreicher wird und seine Sendung ab 2015 etwa auch im ZDF-Hauptprogramm zu sehen sein wird. Damit streift er ganz leicht am Mainstream entlang, ohne aber wohl je die Grenze zu passieren. Das dürfte er auch nicht, denn genau wie bei Harald Schmidt sind es die derben, politisch unkorrekten Töne, die seinen Humor ausmachen und eben längerfristig nicht mit Sendungen wie Wetten, dass…? oder gar Verstehen Sie Spaß? kompatibel sind.

Böhmermann hat auch mal im Team von Harald Schmidt gearbeitet, in dessen später ARD- bzw. Sat1-Zeit. Der Einfluss des großen Humorpaten ist unverkennbar, vom hin und wieder bewusst gesetzten Zitat („es gibt den schönen Satz von Harald Schmidt:…“) bis zur herrlichen Verwischung der Grenze zwischen Privatperson und Rolle, die Böhmermann noch exzessiver ausreizt.

Ein neuer Harald Schmidt ist er dennoch nicht. Eher ein anderer, modernerer. Einer für eine junge, medienaffine Generation, die sich aber nicht mit reiner ironischer Brechung zufriedengibt.

Die generationenübergreifende Late Night à la Harald Schmidt um die Jahrtausendwende herum wird es in Deutschland wohl kaum noch einmal geben. Und es ist auch nicht schade drum. Die besten Zeiten hat sie erlebt, die heutigen würde sie nicht überleben.

Hinterlasse einen Kommentar