Wie erzähl‘ ich’s am besten

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Ein Beitrag von Fabian Macco.


Ich wandere durch eine riesige Wüste in Richtung eines weit entfernten Berges. Ab und zu begegnen mir andere Spieler und wir legen einen Teil der Strecke gemeinsam zurück. Es wird nicht geredet, die einzige Kommunikation erfolgt über unverständliche Zurufe per Tastendruck. Das klingt nicht gerade wie der Stoff für eine spannende Geschichte, ist jedoch tatsächlich eine der faszinierendsten Spielerfahrungen der letzten Jahre. Was Journey so interessant macht, ist die Kombination aus einer atemberaubenden Spielwelt, durch die man sich laufend, springend oder fliegend bewegt sowie der simplen Erzählung einer Reise, die jedoch eine tiefe, universelle Bedeutung in sich trägt.

Beispiele wie Journey verdeutlichen die besondere Stellung von Videospielen. Im Gegensatz zu Büchern oder Filmen erlauben und fordern sie beispielsweise ein hohes Maß an Interaktion. Der Inhalt wird nicht bloß auditiv und visuell konsumiert, sondern aktiv gesteuert und erzeugt. Dadurch entsteht auch die Möglichkeit, bestimmte Herausforderungen zu überwinden und daraus Erfolgserlebnisse zu generieren.

Obwohl Videospiele ein großes Potential bieten, spannende Geschichten zu erzählen, steht dies bei den meisten Spielen nicht an erster Stelle. Dies sagt aber noch nichts über die Qualität eines Games aus. Es gibt genügend Beispiele für hervorragende Spiele, die mit wenig oder ganz ohne Story auskommen. Das haben bereits die 80er-Jahre-Klassiker Tetris und Super Mario Bros. gezeigt. Aber auch sogenannte Sandbox-Spiele wie Minecraft fallen in diese Kategorie.

Oft bieten Videospiele auch einen Online-Modus, bzw. sind ganz darauf ausgelegt, sich in Online-Matches mit anderen Mitstreitern zu messen. Eine packende Geschichte ist hier nur selten gegeben und dient, wenn überhaupt eher als Rahmen, da der Reiz hauptsächlich durch den Wettkampf entsteht.

Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich die story-basierten Spiele, die man auch als spielbare Filme bezeichnen könnte. Bekannte Vertreter sind u. a. Heavy Rain oder das 2018 erschienene Detroit Become Human, bei denen der spielerische Fokus meist auf dem Treffen von Entscheidungen liegt, um die Erzählung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die meisten Games befinden sich jedoch irgendwo dazwischen.

Die Menge an Story-Elementen kann sehr unterschiedlich ausfallen. Die Geschichte an sich kann demnach nicht als grundlegendes Merkmal von Videospielen angesehen werden. Im Kern steht vielmehr das Gameplay. Dieser Begriff ist nicht ganz eindeutig zu fassen, soll hier jedoch als die Interaktion zwischen Spieler und Spiel verstanden werden. Die Story hängt auf komplexe Weise mit dem Gameplay zusammen, da sie eng mit diesem verflochten ist und sich beides gegenseitig beeinflussen kann. Nachfolgend geht es um Beispiele, bei denen die Story einen wichtigen Teil des Spielerlebnisses ausmacht.

Bevor ich mich im Detail mit den konkreten Mitteln der Umsetzung einer Geschichte befasse, will ich zunächst eine grundlegende Unterscheidung beleuchten. Es geht darum, ob eine Story linear oder dynamisch erzählt wird. Die verbreitete Bezeichnung für solche Spiele ist zum einen das Linear Game und zum anderen das Open World Game. Die Entscheidung für einen dieser beiden Ansätze hat sowohl enorme Auswirkungen auf die Entwicklung des Spiels, als auch auf das Erlebnis für den Spieler.

Linear Games vs. Open World Games

Obwohl es natürlich einige individuelle Unterschiede zwischen den Games dieser Kategorie gibt, lassen sich doch auch Gemeinsamkeiten feststellen. In der Regel gibt es ein bestimmtes Ziel, das der Spieler durch Folgen einer festgelegten Route erreichen kann. Durch diese Fokussierung Zielorientierung haben die Entwickler eine bessere Kontrolle über den Verlauf, die Dramaturgie und die zeitliche Gestaltung der Geschehnisse. Aufgrund dieser relativ präzise getakteten Abläufe ist die Erfahrung für jeden Spieler auf der Story-Ebene annähernd identisch. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Unterschiede gibt – nur zeigen sich diese eher auf der spielerischen Seite. Das konkrete Vorgehen bleibt eine Entscheidung, die jeder für sich trifft. Dazu gehört u. a. die Wahl von Waffen oder Taktiken, mit denen Feinde ausgeschaltet werden können sowie die individuelle Verbesserung der Spielfigur durch freischaltbare Fähigkeiten.

Die Kategorie der Open World Games und dem damit verbundenen Prinzip des dynamischen Storytellings erfreut sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Typischerweise findet man sich in einer riesigen Spielwelt wieder, die meist frei erkundbar ist. Dieser Aspekt dürfte wohl einer der Hauptgründe für die Beliebtheit sein. Die Spieldauer ist dadurch meist um einiges länger als bei Linear Games. Widmet man sich z. B. in Fallout 4 nicht bloß der Hauptstory, sondern auch den zahlreichen Nebenaufgaben, sind Spielzeiten von über 100 Stunden keine Seltenheit.

Zum Vergleich: Das Durchspielen eines typischen Linear Games wie The Last of Us benötigt ca. 15 Stunden. Man könnte dadurch leicht zum Schluss gelangen, dass man bei Open World Games mehr fürs Geld bekommt. Das ist jedoch nur bedingt richtig, denn zum einen haben die packenden Storys von Spielen wie The Last of Us einen enormen Wiederspielwert und darüber hinaus wird oft ein von der eigentlichen Geschichte abgekoppelter Online-Mehrspielermodus angeboten.

Ein dramaturgisches Problem, das bei Open World Games häufig auftritt, ist die fehlende Fokussierung auf die Hauptstory. Diese äußert sich natürlich bei jedem Spieler unterschiedlich stark. Mir persönlich ist das beim Spielen von GTA V aufgefallen. Die riesige Spielwelt hat mich immer wieder durch ihre vielen Möglichkeiten von der Hauptstory abgelenkt, sodass ich diese leider eher als Aneinanderreihung von Fragmenten und weniger als spannende, zusammenhängende Erzählung erlebt habe. Letztendlich ist es eine Geschmacksfrage, für welche Art von Spiel man sich mehr begeistern kann.

Hier noch einmal die wichtigsten Aspekte gegenübergestellt:

Linear Game Open World Game
Art des Storytellings Linear Dynamisch
Erlebnis der Story für den Spieler Annähernd identisch

Story zusammenhängender, dadurch oft intensiver

Individuell

Mehr Freiheiten, aber

Gefahr des Auseinanderbrechens der Story

Folgen für Entwickler Mehr Kontrolle über Dramaturgie Schwierig, spannende Story zu liefern
Beispiele Dead Space, God of War, Uncharted 4, The Last of Us, Titanfall 2 GTA V, Horizon Zero Dawn, The Witcher 3, Fallout 4, Red Dead Redemption 2

Das Mittel der Wahl

Egal ob nun Linear Game oder Open World Game, eine Frage, die sich beim Storytelling immer stellt, ist die Art der konkreten Umsetzung im Spiel. Schauen wir uns drei verschiedene Möglichkeiten an, die das Spielerlebnis maßgeblich mitgestalten können.

Texte

In beinahe allen Games finden sich Texte, die in verschiedensten Formen auftreten und vielfältige Funktionen erfüllen können. Entscheidend ist dabei auch, ob es sich um geschriebene Texte (z. B. in Form von eingeblendeten Textblöcken) oder gesprochene Texte (z. B. als gesprochene Dialoge) handelt. Die Entscheidung für das eine oder das andere ist jedoch in den meisten Fällen auch eine Budgetfrage.

Im Extremfall besteht ein Spiel ausschließlich aus eingeblendeten Texten, wie bei den ab Anfang der 70er-Jahre entwickelten Text-Adventures, die auch aus technischen Gründen auf grafische Elemente verzichten mussten. Heute sind solche Spiele nur noch für einen kleinen Kreis von Liebhabern relevant, da die meisten Spieler das Lesen von längeren Textpassagen eher als lästig empfinden.

Untersucht man einige der populärsten Spiele der letzten Jahre (z. B. The Witcher 3, GTA V, Uncharted 4) auf ihren Einsatz von Texten, so stellt man fest, dass zwar auch hier geschriebene Texte eingesetzt werden, diese jedoch nicht die Hauptstory des Spiels erzählen. Sie werden beispielsweise verwendet, um den Spieler beim Benutzen des Controllers oder der Tastatur zu helfen, ihm an schwierigen Stellen Tipps zu geben oder die Navigation durch Menüs zu unterstützen. Häufig wird auch die Wartezeit des Ladebildschirms für Texteinblendungen genutzt, da in diesem Fall der Spielfluss sowieso unterbrochen ist.

Ein Sonderfall sind Textdokumente wie Tagebücher oder Notizen, die von der Spielfigur in der Spielwelt gefunden werden können. Im Ego-Shooter Prey von 2017 finden sich zahlreiche solcher Dokumente. Diese müssen zwar nicht gelesen werden, um das Spiel erfolgreich zu absolvieren, tragen jedoch zu einem greifbareren Eindruck der fiktiven Welt bei und können so das Spielerlebnis intensivieren.

Gesprochene Texte, z. B. in Form von Dialogen, können hingegen auch auf der erzählerischen Ebene eine wichtige Rolle spielen und bieten das Potential, den Charakteren im Spiel (beispielsweise durch den Klang der Stimme) eine größere Tiefe zu verleihen.

Cutscenes

Eines der beliebtesten Mittel, die Geschichte im Spiel voranzutreiben sind die Cutscenes. Hierbei handelt es sich um gescriptete Zwischensequenzen, meist in Form von animierten Filmszenen. Der größte Vorteil für die Entwickler ist dabei die völlige Kontrolle über die Ereignisse. Besonders gut eignet sich eine Cutscene beispielsweise für Dialoge, die wichtig sind, um den weiteren Verlauf der Story zu verstehen. Dem Spieler wird währenddessen die Möglichkeit der Interaktion entzogen und das Videospiel entspricht für die Dauer der Cutscene dem Medium Film.

Eine Ausnahme bilden Quick-Time-Events, bei denen der Spieler in kürzester Zeit die auf dem Bildschirm angezeigten Tasten drücken muss. Solche Reaktionstests werden häufig bei spannungsreichen Actionszenen, wie in Uncharted 4 eingesetzt, um die Interaktion des Spielers aufrechtzuerhalten. Dies bringt jedoch auch Probleme mit sich, da zum einen die spielerische Freiheit deutlich eingeschränkt wird und das Maß an Interaktion recht gering ist. Zum anderen führt die Konzentration auf die zu drückenden Tasten dazu, dass die eigentliche Geschichte nicht mehr die volle Aufmerksamkeit erhält.

Environmental Storytelling

Eine elegante Art der Vermittlung einer Geschichte ist die Erzähltechnik des Environmental Storytelling. Ein Beispiel: Im ersten Teil des Ego-Shooter-Rollenspiels Bioshock erkundet der Spieler die dystopische Unterwasserstadt Rapture, die von den Folgen eines Bürgerkrieges gezeichnet ist. Man sieht auf dem Weg durch die Stadt leerstehende Geschäfte mit zerbrochenen Scheiben, Wandkritzeleien mit verstörenden Botschaften oder vermeintliche Kunstwerke aus Leichenteilen. All diese Dinge vermitteln dem Spieler einen Eindruck des Wahnsinns, der sich in der Stadt ausgebreitet hat. Bestimmte Elemente der Umgebung werden also semantisch aufgeladen und erzählen dadurch eine Geschichte, die sich ins (Unter-)Bewusstsein des Spielers einschleicht, ohne den eigentlichen Spielfluss zu unterbrechen.

Auch Dialoge können für das Environmental Storytelling genutzt werden. In Spielen wie Deus Ex: Mankind Divided kann man häufiger NPCs (Non-Player-Character) beobachten, die sich z. B. über Geschehnisse in der Spielwelt unterhalten, wodurch man teils interessante Details erfährt und die fiktive Welt um einiges belebter wirkt.

Die Möglichkeiten, die das Medium Videospiel hinsichtlich des Storytellings bietet sind enorm. Ausgereizt sind diese aber noch lange nicht. Die Kunst besteht aus meiner Sicht in der Balance der einzelnen Komponenten. Ob der Weg vorgegeben oder die Welt frei erkundbar ist, der Einsatz von Textelementen, Dialogen, Cutscenes und Environmental Storytelling muss stets unter Berücksichtigung der individuellen Stärken und Schwächen erfolgen, um ein möglichst intensives Spielerlebnis zu schaffen. Was dabei aber nicht vergessen werden darf: Auch eine noch so gute Story ist kein Ersatz für ein gutes Gameplay.


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